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Nachdenken, in aller Ruhe - am besten mit Blick auf den Wannsee: Die American Academy liegt am Sandwerder, unweit des Schiffsanlegers.

© Paul Zinken/dpa

American Academy Berlin: Kurs auf den Wannsee

Immer wieder schön: Das rituelle Speed-Pitching der neuen Fellows bei der American Academy am Wannsee.

Denken wäre mal schön. So richtig nachdenken, an die Wand starren, mit ganz viel Zeit und offenem Ende. Oder besser noch mit Blick auf den Wannsee. Geht ja alles zu schnell heutzutage. Die Infos und News werden einem nur so um die Ohren gehauen, 24/7, und nichts ist älter als die Nachricht von heute früh.

Das Tolle an der rituellen Vorstellung der neuen Fellows in der American Academy, wie sie gerade wieder über die Bühne ging – mit Blick auf den Wannsee! –, ist das Zeitparadox. Gerade mal drei Minuten Zeit haben die Fellows aus der akademischen Welt, um ihr Forschungsgebiet und ihr aktuelles Projekt für Berlin vorzustellen. Drei Minuten für Langzeitrecherchen zu Menschheitsfragen wie: Warum sterben Demokratien heute anders als früher, nämlich durch die Hand gewählter Politiker und nicht mehr durch Waffengewalt? Und kann man etwas dagegen tun (der Harvard-Politologe Daniel Ziblatt)?
Oder: Warum sind schwarze Frauen in den USA gerade der moralische Kompass der Nation und wie geht es den Frauen damit (die Schriftstellerin Angela Flournoy)? Oder: Welche Jobs gibt es künftig für Menschen, wenn intelligente Maschinen die Routinearbeiten übernehmen, und wird die soziale Schere dann noch größer als jetzt (die Wirtschaftswissenschaftlerin Laura D’Andrea Tyson)?

Oder auch: Welche politpsychologischen Folgen hat die Jahrzehnte lange Teilung eines Landes? Die Holtzbrinck-Stipendiatin Suki Kim hat 2011 ein halbes Jahr undercover in Nordkorea gelebt, als Englischdozentin für Elitestudenten auf einem militärisch abgeschirmten Gelände, und ein Buch darüber geschrieben. Ihre 19-,20-jährigen Eleven hatten keine Ahnung von Facebook, sie wussten auch nicht, wer Steve Jobs ist. Korea? Wenn sie davon erzählte, fiel den Leuten als erstes Deutschland ein, verrät die Autorin. Nun forscht sie hier weiter, 30 Jahre nach dem Mauerfall.

Es gab auch verwegene Thesen zum politischen Film in Deutschland

Es ist eine schöne alte, entschleunigte Wissenschaftswelt, die die Gäste aus der neuen Welt eröffnen. Auch nach dem Speed-Pitching, wenn Volker Schlöndorff und der Filmwissenschaftler Marco Abel beim Wein über den neuen deutschen Film plaudern. Abel hat vor zwei Jahren „Tätowierung“ gesehen, ein ziemlich vergessenes Berlin-Drama von Johannes Schaaf, mit Christof Wackernagel in der Hauptrolle. Der hat ihn elektrisiert. Schlöndorff war bei der Premiere 1967 dabei, die Wogen schlugen hoch, zehn Jahre später ging Wackernagel zur RAF. Prompt extemporiert Abel verwegene Thesen zum politischen Kino in Deutschland, von den wilden Sechzigern bis zur stillen Berliner Schule.

Seitenwege, Umwege, Irrwege – wer denkt, kommt vom Kurs ab. So entdeckt man Kontinente.

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