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Kultur: Anarchie mit Mittelscheitel

Heute vor 100 Jahren wurde Theo Lingen geboren. Die Akademie der Künste feiert den großen Komiker mit einer Ausstellung

Vielleicht sind Lakaien per se komisch: weil sie selbst in den groteskesten Situationen nicht ihre Haltung verlieren dürfen. In „Opernball“, einer deutschen Filmkomödie aus dem Jahr 1939, gibt es eine Szene, in der sich der Kammerdiener Philipp Bürsten unter seine Schuhe geschnallt hat und mit ihnen wie auf Kufen über den Marmorfußboden im Salon seiner Herrschaft gleitet. Philipp wird von Theo Lingen gespielt, aus dem Auftritt, der keine zwei Minuten dauert, macht er ein Kabinettstück. Den Kopf mit der berühmten übergroßen Nase vorgestoßen, den Rücken korrekt durchgedrückt, fegt er Pirouetten drehend durch den Salon und hat nebenbei noch Zeit, mit dem Hausmädchen zu flirten, das seinen seltsamen Tanz auf dem Klavier begleitet. Sie singt: „Heute will ich tanzen gehen“ – er antwortet: „Vielleicht mit mit mir?“ Sie schmettert: „Heute hätte ich mein Herz zu vergeben“ – er flötet: „Wirklich?“ Dann erscheint die Hausherrin und stellt den Diener zur Rede: „Glauben Sie, Sie wären auf der Eislaufbahn?“ Statt einer Antwort schaut Philipp bloß schuldbewusst auf seine Schuhspitzen.

Theo Lingen, der heute vor hundert Jahren geboren wurde, hat immer wieder niedere Chargen gespielt: Diener, Kellner, Sekretäre. Der Livree des Hausbediensteten, in die er zum ersten Mal 1933 für den Film „Ihre Durchlaucht, die Verkäuferin“ geschlüpft war, sollte er bis ans Ende seiner Karriere nicht mehr entkommen. Noch 1975, drei Jahre vor seinem Tod, ist er in einem Fernsehsketch als „Opernball“-Philipp aufgetreten, mit weißen Handschuhen, gestreifter Weste und den Bürsten an den Schuhen. Filme mit komischen Dienern hatte es schon vor 1933 gegeben, aber nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde daraus eine ganze Welle. Diese „Lustspiele“, die „7 Jahre Pech“, „Was geschah in dieser Nacht?“ oder „Johann“ hießen, hatten auch eine Ventilfunktion, über ihrem Slapstick lag ein Hauch von Anarchie.

Porzellanteller gehen zu Bruch, es kommt zu amourösen Verwicklungen, kleine Leute rebellieren gegen ihre Vorgesetzten, aber schließlich rundet sich alles zuverlässig zum Happyend. Herr bleibt Herr, Knecht bleibt Knecht. Theo Lingen und Hans Moser waren die Stars dieser Diener-Komödien: Lingen gab den näselnden Snob, Moser den in einem unverständlichen Kauderwelsch grantelnden Misanthropen. Lingen und Moser waren ein unschlagbares Gespann, sie drehten 24 Filme zusammen. „Lingen personifiziert preußische Akkuratesse, gebremst vom Charme des Überforderten“, hat der Kritiker Georg Seeßlen geschrieben. „Was bei Moser schief geht, ist Zufall und Missverständnis in einer endlosen Kette von Zufällen und Missverständnissen, was bei Lingen schief geht, ist vorausberechnet, geht mit mathematischer Genauigkeit schief, kann gar nicht anders schief gehen.“ Hitler, heißt es, hat die Filme mit Lingen und Moser geliebt.

Theo Lingen machte Karriere im Dritten Reich, aber er tat das mit einem gewissen Widerwillen. Mehr als die Hälfte seiner rund 200 Filme entstanden zwischen 1933 und 1945, die Honorare, die er dafür erhielt, hat er später „Blutgeld“ genannt. Lingen war seit 1928 mit der Opernsängerin Marianne Zoff verheiratet, die aus einer jüdischen Familie stammte und sich von Bert Brecht hatte scheiden lassen. Weil Lingen sich weigerte, seine Frau zu verlassen, konnte er nur mit einer Sondergenehmigung von Goebbels auftreten. 1933 dachte er daran, zu emigrieren, blieb dann aber doch in Deutschland.

„Als deutschsprachiger Schauspieler sah Lingen keine Chance, seine Familie im Ausland zu ernähren“, berichtet Hanne Hiob, Tochter von Zoff und Brecht, die bei ihrem Stiefvater aufwuchs. „Da er in Deutschland ein beliebter Schauspieler war, reichte der Schutz für meine jüdische Mutter und mich, selbst noch für meine Großmutter, aber ihre 18 Geschwister, die in Prag lebten, wurden alle vergast.“ Als Lingen hörte, dass seine Schwiegermutter in Wien festgenommen worden war, machte er sich mitten in der Nacht von Berlin aus auf den Weg und holte sie aus der Gestapo-Haft. In der Akademie der Künste, die seit 1990 seinen Nachlass hütet, erinnert jetzt eine Ausstellung an diesen mutigen Mann und großen Komiker.

Lingens Komik beruht auf Präzision, selbst im allergrößten Trubel verliert er nie die Selbstbeherrschung. Er spricht in gepresstem Stakkato, seine eckigen Bewegungen wirken wie abgezirkelt. „Ich war und bin immer, wenn ich auf der Bühne stehe, ganz kalt, ganz überlegen und überlegend, kalkulierend und spekulierend, nicht im geringsten angetan von Gefühlen oder Emotionen, die ich darzustellen habe“, schrieb er 1961 in seiner Autobiografie. Franz Theodor Schmitz, der sich später nach dem Geburtsort seines Vaters Lingen nennt, kommt als Sohn eines Justizrates in Hannover zur Welt, nach dem Abitur ergattert er ein Engagement an einem kleinen Privattheater. Es ist die Zeit des Expressionismus, wer als Schauspieler modern sein will, agiert exaltiert und marionettenhaft. Als er 1924 bei einem Gastspiel in Bad Oeynhausen in einer Operette auftritt, lachen die Leute zum ersten Mal über ihn. „Was ich bisher für den Ausdruck gespanntester Intensität, letzter Hingabe und höchster Ekstase gehalten hatte“, erinnert er sich später, „wirkte in dieser Umgebung – der Operette – komisch. Lauthals geäußerte Reaktionen eines Auditoriums – in diesem Falle Lachen – ist ein Gift und kann wie Opium sein. Auf mich wirkte es jedenfalls so. Ich wurde süchtig.“

Anfang der Dreißigerjahre, nach weiteren Zwischenstationen in Münster und Frankfurt, landet Lingen in Berlin. Brecht hatte ihn in Frankfurt als Mackie Messer gesehen und für dieselbe Rolle an sein Theater am Schiffbauerdamm geholt. Lingen ist ein gefragter Mann, er spielt in weiteren Brecht-Stücken, in Dramen von Toller und Hauptmann, dreht seine ersten Filme, tingelt durch die Kabaretts, Gründgens gibt ihm Hauptrollen in den Schiffer-Spoliansky-Revuen am Kurfürstendamm. Die Endphase der Weimarer Republik ist Lingens produktivste Zeit, das zeigen die Fotos, Kritiken und Theaterzettel der Ausstellung. Auf einem Bild ist er als „Buddha 31“ in Friedrich Hollaenders „Tingel-Tangel“ zu sehen, es wirkt wie ein Sinnbild auf die Unrast des Darstellers. „Dieses Chanson“, schreibt Lingen, „handelte vom überbeschäftigten Generaldirektor, der damals in Mode war. Er hatte sechs Hände, die von Ballettmädchen bedient wurden und ununterbrochen das taten, was er gerade vortrug: telefonieren, essen, trinken, schreiben, küssen, Geld zählen, Nase schnäuzen und so weiter. Die Nummer schlug enorm ein.“

Erfolg hat Lingen nicht bloß als Komiker, in Fritz Langs Kino-Klassikern „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) und „Das Testament des Dr. Mabuse(1932/33) glänzt er als Ganove. Nach 1933 bricht die Entwicklung zum Charakterdarsteller ab, fortan ist Lingen ausschließlich in humoristischen Rollen zu sehen. Sein Typus, an dem er lange feilt, wird zum Markenzeichen: akkurat gezogener Mittelscheitel, strichförmiger Mund, abstehende Ohren, steifer, vornübergebeugter Gang. Er dreht bis zu 20 Filme in einem Jahr, ab 1936 inszeniert er auch selber. Nach dem Krieg ist er in Stücken von Ibsen, Sartre und Dürrenmatt zu sehen, doch in Erinnerung bleibt er vor allem mit Filmklamotten wie dem „Theodor im Fußballtor“ (1950) oder der „Pauker“-Serie aus der Endzeit von Papas Kino (ab 1967).

Auf die Frage, warum er nicht mehr Theater spiele, antwortet Theo Lingen kurz vor seinem Tod mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Weil ich beim Film mehr Geld verdiene.“

„Hinter der Maske des Komikers“, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 (Tiergarten), bis 15. Juli, täglich 11-20 Uhr. Ein Begleitbuch zur Ausstellung kostet 5 €.

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