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Kultur: Angriff ist auf dem Rasen die beste Verteidigung

"Tach, Publikum", sagt Jürgen Kuttner. Das Publikum freut sich und klatscht frenetisch.

Von David Ensikat

"Tach, Publikum", sagt Jürgen Kuttner. Das Publikum freut sich und klatscht frenetisch. Jürgen Kuttner Superstar steht allein auf der großen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, zappelt rum, steht mal auf einem Bein, zieht sich die Hemdärmel lang, als sei ihm irgendwas peinlich. Ist es aber nicht. Kuttner ist Videoschnipsel-Profi. Zum 22. Mal erklärt er dem jungen Publikum die Welt anhand von kurzen Filmausschnitten aus der nicht mehr ganz jungen Fernsehvergangenheit der beiden Deutschländer. "Von Mainz bis an die Memel XXII" heißt das Ganze (Teil XXIII folgt am 19. April). Am Montag konnte das Publikum lernen, wie es kam, dass bis Anfang der Achtziger alles seine Ordnung hatte und danach so durcheinander geraten konnte. Kurz gesagt: Es lag am Ende der Nachkriegszeit. Im Westen wurde die durch den Fußball abgelöst - als Beweis gibt es ein Filmchen, in dem Sepp Herberger seinen Fußballern erklärt, wie sie Angriff und Rückzug zu bewerkstelligen haben. Im Osten ersetzte der Staatsbürgerkunde-Unterricht die Kriegsprägung der älteren Generation. Sagt Kuttner. Und zeigt dazu einen Schnipsel aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht, in dem der Lehrer erklärt, wie 1922 Kommunisten auf Lokomotivtendern nach Moskau gereist sind. Das alles gab noch ein wenig Halt, brach aber um 1982 in sich zusammen. Sagt Kuttner. Und zeigt Ausschnitte aus Filmen über eine West-Berliner Schülerinnen-WG und vom Bahnhof Radebeuel-Ost. Das Publikum in der Volksbühne - vor allem Abiturienten und Jungstudenten - meint, den Hinterhalt dieses Assoziationsbogens zu erkennen, und schlägt sich belustigt auf die Schenkel. Kein bisschen Betroffenheit, weil jetzt alles durcheinander und nur noch Pop ist. Warum auch? "Danke Publikum", sagt Kuttner und packt seine Notizzettel zusammen.

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