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Kultur: Angry young man

Was darf man von einer Oper halten, deren Komponist erklärt, die Gattung sei nicht mehr zeitgemäß, "ein Fossil, eine anachronistische Situation"? Lädt das nicht regelrecht dazu ein, Matthias Pintschers Versuch mit Skepsis zu begleiten, mit "Thomas Chatterton" just einen Tag nach Manfred Trojahns "Was ihr wollt" wieder eine Literaturoper, diesmal in Dresden, auf die Bühne zu wuchten?

Was darf man von einer Oper halten, deren Komponist erklärt, die Gattung sei nicht mehr zeitgemäß, "ein Fossil, eine anachronistische Situation"? Lädt das nicht regelrecht dazu ein, Matthias Pintschers Versuch mit Skepsis zu begleiten, mit "Thomas Chatterton" just einen Tag nach Manfred Trojahns "Was ihr wollt" wieder eine Literaturoper, diesmal in Dresden, auf die Bühne zu wuchten? Der gerade 27jährige Komponist, der bereits mit Anfang Zwanzig ein symphonisches Werk vorzuweisen hatte, steht derzeit hoch im Kurs.Im vergangenen Jahr widmete ihm Salzburg ein Portraitkonzert, 1999 wollen die Berliner Philharmoniker eine Uraufführung übernehmen, und für 2001 hat Salzburg bereits die nächste Oper bestellt.Die großen Institutionen also, die noch nie zu den Brutstädten der Avantgarde zählten, haben Pintscher für sich entdeckt.Und man versteht auch bald warum.Gemäßigte Moderne, hoch expressiv, doch nicht wirklich verstörend, erfreut Veranstalter wie Publikum.Hans Henny Jahns Drama, das 1956 die spießige Bundesrepublik mit dem historischen Thomas Chatterton konfrontierte, dem frühreifen Dichter, der an der gesellschaftlichen Enge seiner Umgebung zerbrach und 1770, 17jährig, aus dem Leben schied, konzentrierten Claus H.Henneberg und Pintscher zu einem erzählerisch dichten Libretto.Die glatte narrative Linie führt durch sieben Szenen, für die Marco Arturo Marelli einen schräg aufsteigenden verkanteten Tunnel entwarf, der kaum gewandelter Spielort seiner wenig spektakulären, mitunter jedoch fast choreographisch durchgestalteten Inszenierung ist.

Hier wird der junge Chatterton von der engstirnigen Mutter (treffend kühl: Annette Jahns) in die Lehre als Kanzleigehilfe gegeben, hier versucht sein besorgter Freund William den Hypersensiblen, wie in Trance Dichtenden zu beruhigen.Doch Thomas bleibt für die empfindsame Zuneigung unempfänglich.Auch der Selbstmord von Williams Bruder Peter läßt ihn nicht weinen.Diesem war er nahe gewesen, so nahe er eben konnte, hatte Bett und Freundin mit ihm geteilt, doch reibt er sich selbst im Sehnsuchts-Duett der vierten Szene stets noch im Sekundintervall mit ihm.Matthias Klink leiht in einer Doppelrolle dem Bruderpaar seinen leichten, schlackenlosen Tenor, der genau jene jugendliche Frische hat, die Chatterton mangelt.

Pintscher besetzte seinen Helden mit einem hohen Charakterbariton und brach damit die Figur geschickt in die voller Energie sprudelnde, energisch drängende Bühnengestalt (Dagmar Niefind-Marelli kleidete die jungen Männer in kräftiges Orange, Blau und Grün, während die erdrückende Erwachsenenwelt in metallischem Grau daherkommt) und die gereifte, abgedunkelt reflektierende Stimme.Urban Malmberg gestaltete diesen Konflikt absolut überzeugend und sein klares, den Abend dominierendes Organ folgte geschmeidig den emotionalen Wechselbädern der Partitur.Im Zwiegespräch mit Aburiel, einer von Jahns Engel-Gestalten, der Dieter Mann würdevoll mahnenden wie mitfühlenden Ausdruck verlieh, gibt er den unsicheren Jüngling, der sich nur zögernd zu seiner dichterischen Begabung bekennt.In der Auseinandersetzung mit seinem Dienstherren oder den Kaufleuten, denen er seine Dichtungen als (gefälschte) Pergamente aus dem 15.Jahrhundert unterschob, überzeugt Malmberg mit dem Trotz des angry young man.

Perfekt eingespielt ist er auch mit Marc Albrecht, der das Ensemble sicher durch die üppige, rhythmisch komplexe Partitur manövriert.Das gut disponierte Orchester gibt dem Geschehen die musikalische Deutung höchster Erregung, steter Hochspannung, die Pintscher unmöglich in eine kompositorisch befriedigende Form zu gießen vermag.So erscheint auf die Dauer amorph, was im Detail fein, vor allem klanglich originell gearbeitet ist.Schnell sind die Mittel abgenutzt, und da die Gesangspartien fast ausschließlich erzählend eingesetzt werden, ist von ihrem gut verständlichen parlando wenig musikalische Abwechslung, erst recht kein virtuoser Kitzel zu erwarten.Immerhin erspart uns Pintscher ein apotheotisches Nachspiel zum Freitod des in London völlig isolierten und mittellosen Chatterton, der aus "gewichtigen Gründen" sein Zimmer nicht mehr als Liebesdiener seiner Wirtin bezahlen kann.Mit plötzlich abbrechenden Atemgeräuschen endet der expressive Opernerstling, an dessen Komponisten die Musikgeschichte der letzten 70 Jahre relativ spurlos vorübergegangen ist.

Weitere Aufführungen 27., 30.5., 4.6.jeweils 19.00 Uhr, Semperoper Dresden

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