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Kultur: Angst um die Deutsche Oper

Der Skandal um die „Idomeneo“-Absetzung trifft das Haus in einer schwierigen kulturpolitischen Lage

Einen heißen Opernherbst hätte Berlin auf jeden Fall bekommen – auch ohne die skandalöse Absetzung von Hans Neuenfels’ „Idomeneo“-Inszenierung. Denn die Opernfrage dräut mächtig. Es geht wieder um die Finanzierbarkeit der drei Häuser. Endlich vereint unter dem Dach der Opernstiftung, müssen Staatsoper, Komische Oper und Deutsche Oper eine Kürzung des Gesamtetats von 110 Millionen in diesem Jahr auf 96,8 Millionen Euro bis 2008 umsetzen. Das sei so nicht machbar, hat Michael Schindhelm, Generaldirektor der Opernstiftung, erklärt.

Eine Hängepartie: Schindhelm hat den Sommer über im Auftrag des Senats ein Reformmodell erarbeitet. Er will dies vorlegen, wenn der neue Senat im Amt ist. Darüber kann es November werden. Im Wahlkampf attackierte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Schindhelm ruppig: Der müsse sich an die finanziellen Vorgaben halten.

Platzt am Ende die Opernstiftung? Das Konstrukt hat ein Ziel: Die Berliner Opernlandschaft soll erhalten bleiben. So viel ist aber auch klar: Ohne Stellenstreichungen und erhebliche Sparmaßnahmen wird es nicht gehen. Und da fällt der Blick immer wieder auf die Bismarckstraße, auf die Deutsche Oper. Das Haus, das Kirsten Harms leitet, ist nicht nur die größte der drei Opernbühnen und am schwersten zu füllen. Es steht auch künstlerisch am schwächsten da. Komische Oper und Staatsoper haben zuletzt ihr Profil geschärft.

In dieser Situation trifft der „Idomeneo“-Rückzieher den Betrieb an der Bismarckstraße besonders hart. Nach der Schließung des Schiller-Theaters ist die Deutsche Oper der letzte große Staatstheaterbetrieb im Westen der Hauptstadt. Zwei Jahrzehnte lang hatte Götz Friedrich das Haus geleitet – mit Erfolg. Allerdings ließ er auch ein Defizit von rund 20 Millionen Mark auflaufen. Friedrich, einst ein weltbekannter Opernregisseur, starb 2000. Seitdem leidet die Deutsche Oper unter häufig wechselnden Intendanzen und musste den Abgang des Stardirigenten Christian Thielemann verkraften.

Kirsten Harms übernahm im September 2004 die Intendanz, konnte dem Haus aber wegen der im Opernbetrieb üblichen langfristigen Verabredungen bisher noch nicht ihren eigenen Stempel aufdrücken. Sie war mit der Hinterlassenschaft ihrer Vorgänger beschäftigt. Am 15. Oktober hat Harms mit ihrer ersten eigenen Inszenierung Premiere: „Germania“ von Alberto Franchetti. Auf der Homepage der Deutschen Oper wird dafür mit dem Satz „Und dass du beendet sein mögest, du Angst des Lebens“ geworben.

Angst war es, Angst um die Sicherheit des Hauses, die Harms zur Absetzung der für November geplanten Wiederaufnahme der Neuenfels-Inszenierung veranlasst hat. Eine Angst, die nach genauerer Betrachtung der Gefährdungslage offenbar überzogen war. Angst auch vor tief greifenden Veränderungen in der Opernstiftung, Angst um den eigenen Job?

Die Art, wie Harms am Dienstag auf ihrer Pressekonferenz ihre Entscheidung zu begründen versuchte, war erschreckend. Ihr Auftritt zeugte weder von Souveränität noch von dem Verantwortungsgefühl, das die Intendantin eines solch großen künstlerischen Betriebs braucht. Landesweit schlägt ihr Protest entgegen, der Fall erregt die Gemüter überall in der Welt. Sie hätte wissen müssen, was ihr Eingriff in den Spielplan bewirkt – zu Recht sehen Künstler, Politiker und Kritiker die Freiheit der Kunst in Gefahr.

Kirsten Harms ist die erste Intendantin dieses Landes, die vor einer kaum konkreten Terrorbedrohung einknickt. Sie hat sich darüber mit Kultursenator Thomas Flierl nicht beraten, sondern ihm lediglich einen Brief geschrieben. Der lag zwei Wochen lang unbeachtet in der Kulturverwaltung. Man fasst es nicht: Offenbar war sich niemand in der Behörde der Brisanz des Schreibens bewusst. Der Verdacht drängt sich auf, dass Flierl die Intendantin – er selbst hat sie berufen – im Regen stehen ließ. Warum war er nicht bei der Pressekonferenz in der Oper?

Mehr und mehr gerät die Deutsche Oper in Schieflage. Auch politisch. Die beiden anderen finanziell bedrängten Musiktheater Berlins wollen sich zum „Idomeneo“-Fall nicht äußern. Jemand hat ein Interesse daran, dass Kirsten Harms bald nicht mehr zu halten ist. Und womöglich auch ihr Haus.

Rüdiger Schaper

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