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Kultur: Angst vor dem Absturz

Noras kluge Schwester: Thomas Ostermeier inszeniert wieder Ibsen an der Schaubühne, diesmal „Hedda Gabler“

Die unvermeidliche Frage zuerst. Muss man Ihre Inszenierung von Ibsens „Hedda Gabler“ als Versuch verstehen, an den großen Erfolg anzuknüpfen, den Sie mit Ibsens „Nora“ hatten?

Ich habe es mir zwei Jahre lang verkniffen, „Hedda Gabler“ zu inszenieren, nur um diesen Eindruck nicht zu erwecken. Aber Nora begreift im Lauf des Stücks, dass sie sich befreien muss, von ihrem Mann, von den bürgerlichen Konventionen. Dieses Bewusstsein hat Hedda Gabler von Anfang an. Sie weiß die ganze Zeit, dass sie sich mit ihrer Hochzeit in den falschen Käfig begeben hat. Ihre Fragen nach Identität und Freiheit könnte ebenso gut ein Mann stellen. Aber bei einer Frauenfigur ist das alles etwas gefährlicher. Vielleicht ist Hedda einfach nur eine modernere Frau als Nora. Deshalb spielt unsere Inszenierung heute, nicht im 19. Jahrhundert. Bei einem historischen Setting mit alten Kostümen habe ich automatisch das Gefühl von verstaubtem Theater. Als ich bei „Lulu“ eine Historisierung des Stoffes und eine Zeitreise durch mehrere Jahrzehnte versuchte, ist das der Aufführung nicht besonders gut bekommen. Ich kann zurzeit Stücke nur aus der Gegenwart heraus verstehen.

Was hat diese exaltierte Hedda Gabler, eine großbürgerliche Figur, mit heutigem Lebensgefühl in der kleinbürgerlichen Bundesrepublik zu tun?

Das Stück erzählt von einer Situation, in der man das Gefühl hat, im Establishment angekommen zu sein. Das monatliche Einkommen ist gesichert, es kann einem nicht mehr viel passieren. Und dann tut sich auf einmal ein brutales Sinnvakuum auf. Es gab mal Aufbruchsgedanken, von Punk bis zu Formen von politischem Engagement und utopischem Denken. Was ist davon übrig geblieben, vor lauter Kompromissen und Pragmatismus? Plötzlich spürt man eine enorme, schmerzende Sehnsucht nach einem anderen Leben. Das ist genau das Hedda- Gefühl. Ich glaube, dass das ein sehr bundesrepublikanisches Lebensgefühl ist.

Nicht viele Bundesbürger waren früher linksradikale Punks und sind heute arriviert. Kann es sein, dass Sie gerade von sich selbst sprechen?

Man muss ja nicht unbedingt von Extremen reden, man kann auch davon sprechen, was passiert, wenn man erwachsen wird und sich von den Idealen und der Wut seiner Jugend verabschiedet hat. Hedda ist meine Identifikationsfigur. Das ist die Figur, in der ich etwas von mir erkenne. Jetzt hast du alles, aber da war doch mal eine andere Sehnsucht. In der Aufführung sagt jemand zu Hedda, kurz bevor sie sich umbringt, den schönen Satz, dass sich „früher oder später jeder mit dem Unvermeidlichen arrangiert“. Heddas Antwort auf solche Sätze, auf diese Resignation, ist ihr Selbstmord.

Das ist ihr Protest gegen eine zweckrational organisierte Karrierewelt, in der man gut funktioniert, sei es als Kunsthistoriker, wie Heddas spießiger Ehemann, sei es als ehrgeiziger und nicht ganz erfolgloser Regisseur und Theaterleiter?

Der Ausweg für Hedda wäre es gewesen, sich für die Existenz mit dem genialischen, radikalen Außenseiter Lövborg zu entscheiden, ihren früheren Geliebten – und nicht für ihren langweiligen, saturierten Ehemann. Aber für diese radikalen Lebensentwürfe braucht man Mut. Statt in der großen Charlottenburger Altbauwohnung zu sitzen, kann man dann in Neukölln auf Hartz-IV-Niveau landen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich davon gelebt habe, an der Tankstelle zu arbeiten, während ich ohne Geld mit anderen im „Schoko-Laden“ Off-Theater gemacht habe. In der Situation, in der ich im Moment bin, sind die Möglichkeiten, sich künstlerisch auszudrücken, größer. Aber es ist wichtig für mich zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn man von irgendwelchen schlecht bezahlten Jobs lebt. Die Wohlstandsdepression, die innere Leere, die verzweifelte Sehnsucht von Hedda Gabler sehe ich, wenn ich in der Probenpause in ein Restaurant am Ku’damm gehe.

Wohlstandsdepression, ist das nicht eher ein Problem der Achtzigerjahre? Heute leiden die Menschen doch eher unter Existenzängsten und der Furcht vor dem sozialen Abstieg.

Die Angst des Mittelstands davor, abzurutschen, ist der Motor in „Nora“, und genau so in „Hedda Gabler“. Das Stück kommt richtig in Gang, als Heddas Ehemann Tesman erfährt, dass er die erhoffte Professur wahrscheinlich doch nicht bekommt, weil plötzlich dieser Konkurrent Lövborg auftaucht. Die Figuren agieren aus Angst vor dem sozialen Absturz.

Sobald ein Konkurrent seine Karriere gefährdet, entwickelt der liberale Menschenfreund und Kunsthistoriker Tesman Brutalität und rücksichtslose Härte?

Ja, da ist im Zweifel noch etwas anderes anwesend als das harmlose Nett-Sein. Die Bundesrepublik entzivilisiert und entsolidarisiert sich in der ökonomischen Krise. In meiner ersten Arbeit an der Schaubühne, „Personenkreis“, ging es um Obdachlose, Junkies, Alkoholiker, abgestürzte Menschen. Diese Welt ist in „Hedda Gabler“ präsent, weil alle von der Angst erfüllt sind, da zu landen. Der Trinker Lövborg verkörpert genau dieses Gefühl. Er hat Angst vor dem sozialen Absturz, da er schon einmal ganz unten war – und das zerstört ihn auch seelisch. Die bürgerliche Welt von Tesman und Hedda ist brüchig. Der Schritt ins totale Aus ist klein. Deshalb ist das Stück heute so aktuell.

Andrea Breth hat „Hedda Gabler“ in den Neunzigern als Studie einer Depression inszeniert. Hedda Gablers Selbstmord war in dieser Inszenierung der von Anfang an angelegte, grauenvoll logische Endpunkt. Sehen Sie das ähnlich?

Eigentlich nicht. Es geht bei Hedda nicht um Depression, sondern um Freiheit. Sie bewundert den Anarchisten Lövborg für seine Freiheit, und sie hasst an sich selbst den Mangel an Mut, die absolute Freiheit zu leben. Sie versucht, in diesem Bürger- Glaskäfig, in dem sie sitzt, Momente von Freiheit herzustellen, obwohl sie eigentlich ohnmächtig ist. Dabei verkalkuliert sie sich wahnsinnig. Alles, was sie an Gefechtsstrategien entwickelt, an Manipulation ihrer Umwelt, das kollabiert. Sie sitzt noch mehr in der Falle als zu Beginn des Stückes. Ihr Selbstmord ist wie ein Schlag ins Gesicht der anderen. So, ihr Schweine, jetzt zeige ich euch, welche Größe ich besitze. Hedda Gabler merkt, dass es noch eine letzte, große Möglichkeit gibt, sich zu befreien, nachdem sie das vorher innerhalb der bürgerlichen Familienzelle versucht hat und daran gescheitert ist.

Wer nahe Menschen durch einen Suizid verloren hat, wird wenig Verständnis für diese Romantisierung des Selbstmords als „Befreiung“ aufbringen.

Wir reden über ein Theaterstück. Und Theater treibt Konflikte so auf die Spitze, wie wir das in unserem Leben hoffentlich nie ausagieren müssen.

Interview: Peter Laudenbach.

Premiere, 26. Oktober; weitere Aufführungen am 29., 31. Oktober sowie 1. November, jeweils 20 Uhr.

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