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Kultur: Angstträume im Doppelbett - Ein Psychokrimi in Robert Carsens Inszenierung

Verquält wälzt sich die Kaiserin im Doppelbett - in schwindelnder Höhe. Denn ihr Schlafzimmer ist senkrecht hochgeklappt, so dass der Zuschauer gewissermaßen in Vogelperspektive darauf blickt.

Verquält wälzt sich die Kaiserin im Doppelbett - in schwindelnder Höhe. Denn ihr Schlafzimmer ist senkrecht hochgeklappt, so dass der Zuschauer gewissermaßen in Vogelperspektive darauf blickt. Unheil schwebt in der Tat über dieser Kaiserin. Eine Filmszene aus ihrer Kindheit wird auf Gaze projiziert: Sie zeigt ein kleines Mädchen, das schüchtern eine Türe öffnet, hinter der ein älterer Mann fiebert, vergebens nach einem Wasserglas tastet und jäh zurücksinkt und erstarrt.

Der Tod des Keikobad, den die Kaiserin bei Robert Carsen als Kind miterleben musste, wird zum Schlüssel für eine kühne Umdeutung des aus orientalischen Mythen, Swedenborgs Geistmetaphysik und einem Schuss Kirkegaardschen Existentialismus zusammengemixten Privatmärchens Hugo von Hofmannsthals. Anstatt in der Symbolik der ferngerückten persischen Mythologie zu wühlen, um die in allen Details ohnehin kaum je verständliche "Frau ohne Schatten" auszudeuten, stöberte der kanadische Regisseur im geistigen Umfeld der Entstehungszeit der Opfer, die nun achtzig Jahre nach ihrer Uraufführung in Wien als Beitrag zum Strauss-Jahr wieder an der Staatsoper zu sehen ist. Dabei stieß Carsen auf die Psychoanalyse Sigmund Freuds, auch ein Aufsatz Erwin Ringels, der "Die Frau ohne Schatten" als "psychotherapeutische Oper" bezeichnet hatte, mag eine Rolle gespielt haben.

Wie schon in seiner Deutung der "Zauberflöte" in Aix-en-Provence wird die gesamte Handlung der Straussschen Oper in das aufgewühlte Seelenleben einer schwer traumatisierten Frau verlegt. Nicht nur die Geisterfiguren, sondern auch das Färberpaar entpuppen sich als Projektionen der an der seelischen Wunde aus ihrer Kindheit laborierenden Kaiserin. Die Suche nach dem Schatten, ursprünglich gedacht als Symbol für den Wunsch nach Fruchtbarkeit, wird somit zur Allegorie auf den dornigen Weg der psychischen Genesung, den die Kaiserin in angstbesetzten Träumen durchläuft.

Die Färberin ist gleichsam das Spiegelbild der dunklen seelischen Seiten der Kaiserin. Dementsprechend ist die von Michael Levine entworfene Bühne auch zweigeteilt: Vorne steht auf einem Perserteppich ein gediegen-hölzernes Ehebett in einem bürgerlichen Schlafzimmer, das sich spiegeltreu auf der hinteren Bühnenhälfte wiederfindet: Intakt, wenn der Kaiser seinen Falken beschwört, desolat, wenn die Färberin mit ihrem Barak ringt. Vor allem die bei Strauss/Hofmannsthal bezeichnenderweise namenlos bleibende Färbersfrau gewinnt durch Carsens psychologische Deutung an Plausibilität, lassen sich doch ihre sonst kaum erklärlichen Aggressionen als schockhafte Reaktion der Kaiserin auf deren schmerzhafte Selbsterkenntnis deuten.

Gabriele Schnaut als stimmgewaltige Färberin und Deborah Voigt als elegante und selbst in den Höhenregionen des "D" stets mühelose Kaiserin liefern sich einige packende Aug-in-Aug-Duelle, ehe sich die im selben, doch unappetitlich verschmuddelten Schlafrock gekleidete Färberin im Schlussbild als Schatten hinter die Kaiserin legt. Weniger schlüssig ist hingegen die Beziehung zwischen Barak - Falk Struckmann ohne falsche Larmoyanz - und dem Kaiser, den Johan Botha mit klangschönen Kantilenen meistert. Etwas unklar bleibt auch die Rolle der Amme (Marjana Lipovsek), die als Assistentin des in Gestalt Sigmund Freuds auftretenden Geisterboten (Wolfgang Bankl) versucht, den Genesungsprozess der Kaiserin zu steuern. Solch unvermeidbarer Brüche zum Trotz, erschließt Carsens psychoanalytischer Zugang Perspektiven, die bei märchenartigen Inszenierungen kaum wahrnehmbar sind.

Auch von Guiseppe Sinopoli am Pult des brillant aufspielenden Wiener Staatsopernorchesters hätte man sich Ungewöhnliches erhofft. In der Tat nimmt Sinopoli, selbst einst Arzt mit psychologischer Vorbildung, dieser "Frau ohne Schatten" jeden Anflug von Süßlichkeit und legt in atemlosen Tempi gewissermaßen die Nervenstränge der Partitur frei, die angesichts solch kammermusikalischer Durchsichtigkeit auch manch sonst ungehörte Dissonanzen freigibt und deshalb eine Touch von Modernität gewinnt. Doch fehlt Sinopoli die sanfte Geduld, die ein Seelenarzt aufbringen müsste: Ausschwingende Kantilenen und ruhig pulsierende Passagen sind seine Sache nicht - weshalb seine Deutung trotz aller Dynamik keine Spannungsbögen entwickelt. Ein kleiner Einwand angesichts des untadeligen Staatsopernorchesters, des hervorragenden Ensembles und einer spannenden Inszenierung, mit der Intendant Ioan Holender nach Halévys "La juive" zum zweiten Mal in dieser Saison punkten kann.

Reinhard Kager

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