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Blutzeuge. Ryszard Kapudcinski fotografiert die Toten.

© Wüste Film/Pandora Film

„Another Day of Life“ im Kino: Ein Kriegsreporter in Angola

Animierte Dokumentation: „Another Day of Life“ schildert den Angolanischen Bürgerkrieg von 1975 aus Sicht des Kriegsreporters Ryszard Kapuscinski.

Anfangs bleibt die Leinwand lange schwarz, und was erst klingt wie das Rauschen des Windes, entpuppt sich bald als Sirenengeheul und Schüsse. Später glaubt man wieder welche zu hören, da ist es nur das Rattern der Schreibmaschine von Ryszard Kapuscinski. Der polnische Kriegsreporter hält sich 1975 in Angola auf: Die portugiesische Kolonialmacht zieht sich aus dem Land zurück und während es auf die Unabhängigkeit zusteuert, entwickelt sich ein ausgewachsener Bürgerkrieg, der es zum Spielball der Großmächte im Kalten Krieg macht. Die meisten Weißen verlassen zur Geburtsstunde dieses neuen Afrikas im Zeitalter des Neokolonialismus fluchtartig den Kontinent. Kapuscinski will mitten rein in den Krisenherd, alle halten ihn für verrückt.

Arbeiten Dokumentarfilme mit animierten Sequenzen, so illustrieren diese meist Szenen, von denen es kein authentisches Material gibt. Wegweisende Augenblicke in der Kindheit berühmter Personen zum Beispiel. „Another Day of Life“ ist im Gegensatz dazu in erster Linie ein animierter Film, erinnert stilistisch an Graphic Novels, an dystopische Science-Fiction, in der sich die Welt in traumatischen Momenten blutrot einfärbt und in ihre Einzelteile zerfällt. Die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktion verschwimmen und die reale Geschichte umgibt plötzlich eine Aura des Legendären.

Die Filmemacher Raúl de la Fuente und Damian Nenow scheinen von solchen beinahe mythisch anmutenden Narrativen fasziniert zu sein. Viel Zeit widmen sie etwa der Guerillakämpferin Carlota, die im Alter von nur 19 Jahren bei einem Angriff fällt. Mit ihrer Schönheit und Entschlossenheit scheint zugleich auch die Hoffnung für ihre Kameraden zu sterben.

Alle rechnen jeden Augenblick mit dem Tod

Der animierte Ryszard Kapuscinski und seine Kollegen in Angola machen hingegen den Eindruck hartgesottener, direkt einem Actionfilm entsprungener Figuren. In ihrem 70er-Jahre-Look mit Afro und offenem Hemdkragen tragen sie Coolness zur Schau, werfen mit abgebrühten Sprüchen um sich. Nur vom Tod reden alle so, als rechneten sie jeden Augenblick mit ihm. Tatsächlich sind die meisten von ihnen heute noch am Leben: Nicht nur kurz aufscheinende Impressionen der jungen Generation im heutigen Angola unterbrechen regelmäßig die Animationen, sondern auch Interviews mit den damaligen Protagonisten, gealterten Journalisten, Guerillakämpfern, Kapuscinskis Fahrern. Nur er selbst starb 2007 an den Folgen einer Herzoperation.

„Another Day of Life“ nimmt lediglich den kurzen zeitlichen Abschnitt in Angola in den Fokus, eine konkrete Auseinandersetzung mit Kapuscinskis Kritikern, die den Wahrheitsgehalt mancher seiner Reportagen anzweifelten, gibt es nicht. Nichtsdestotrotz thematisieren de la Fuente und Nenow die Verantwortung der Journalisten. Die Frage, wie sehr sie in die Ereignisse eingreifen dürfen. Ob nicht speziell Kriegsreporter allein durch ihre Anwesenheit schon den Lauf der Dinge verändern.

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Die Filmemacher beantworten diese Frage mittels der Freiheit, die ihr eigenes Medium ihnen bietet, und lassen Ryszard Kapuscinski selbst zu Wort kommen. „Confusão“, erklärt er aus dem Off, sei in Angola das Wort für einen chaotischen Zustand völliger Desorientierung und der Begriff lasse sich für die Situation im Land ebenso anwenden wie für jene in seinem Kopf. Die Zeilen des Off-Kommentars sind seinem Buch „Wieder ein Tag Leben“ entnommen, in dem er 1976 die Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg verarbeitete. Vom Reporter wurde er dabei zum Schriftsteller. „Sorg dafür, dass man uns nicht vergisst“, zitiert er die Sterbenden auf den Straßen, die in ihren letzten Augenblicken von ihm fotografiert werden wollen, um wenigstens auf diese Weise noch Spuren auf der Welt zu hinterlassen. Der animierte Ryszard Kapuscinski richtet die Kamera auf sie und mit jedem Klicken des Auslösers erfasst seine Linse ein neues Gesicht. „Another Day of Life“ schafft Bilder, die man so schnell nicht mehr vergisst.

Delphi Lux, OmU: Krokodil, fsk, Hackesche Höfe, Rollberg

Katrin Doerksen

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