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Kultur: Antworten von

VORWAHL (2)

Maxim Biller

Wir haben Künstlern und Schriftstellern drei Fragen gestellt.

1. Deutschland und der Reformstau: Welche Reformen halten Sie für am dringlichsten – und was wäre Ihre Lieblingsreform ?

2. Schröder contra Stoiber: Welchen Rollen-Typus verkörpern die beiden Staatsschauspieler?

3. Ist die etablierte Parteienklasse zu versteinert – und würden Sie sich einen neuen Politikertypus wünschen ? Was wäre die Lockung oder Drohung eines Außenseiters à la Pim Fortuyn?

1. Die wichtigste Reform kann nicht von einer Partei oder Regierung kommen, sondern von den Menschen selbst. Es ist die Reform unserer inneren Haltung, die Abschaffung der Volksseuche Feigheit. Egal ob Schriftsteller, Manager oder Lehrer – niemand in unserer Gesellschaft will noch irgendwas riskieren. Alle denken, was die anderen denken, alle handeln, wie die anderen handeln. Diese extrem kleinbürgerliche Haltung allein ist für die intellektuelle, ökonomisch – und moralische – Stagnation Deutschlands verantwortlich. Bloß nicht auffallen, lautet der Refrain unserer heimlichen Nationalhymne. Um jeden Preis auffallen, das klingt aber tausend Mal besser. Wählt also nicht Schröder oder Stoiber, nicht die Tradition oder Konvention, sondern – wählt euch selbst!

2. Schröder ist der Cowboy, der allein in den Horizont reitet, egal, ob ihn dort das Happy-End erwartet oder der Schuss aus dem Hinterhalt. Stoiber ist der Bürgermeister von Dodge City; kein Held, aber auch kein Feigling, einer, der auch dann noch von seinem verbarrikadierten Büro aus mit dem Gouverneuer telefoniert, um die neuesten Anweisungen zu bekommen, wenn der Film längst aus ist. Nicht wirklich leicht zu beantworten, welchem von beiden man am Ende lieber sein Schicksal anvertrauen möchte.

3. Das Drama der Demokratie: Ihre Durchschaubarkeit macht sie so undurchschaubar. Wer ist Schröder? Wer ist Stoiber? Wie denken sie wirklich? Welche Visionen haben sie? In Demokratien beurteilt man Politiker nur nach ihren Taten, nicht nach ihren heimlichen Gedanken oder herausposaunten Visionen. Zum Glück. Die Fortuyns dieser Welt wollen, dass Politiker wieder zu den Darstellern großer ideologischer Heldensagen werden , garantiert mit dramatischem Ausgang für alle. Das kann keiner von uns wollen, nicht mal diejenigen, die nicht Hitler, Stalin, Mussolini selbst erlebt und überlebt haben.

Maxim Biller lebt als Schriftsteller in Berlin. Er veröffentlichte zuletzt den Roman „Die Tochter“ (Kiepenheuer & Witsch).

Morgen: Andres Veiel

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