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Denzel Washington spielt einen Juristen mit einem sozialen Gewissen.

© Sony Pictures

Anwaltsdrama „Roman J. Israel“: Alles, was Recht ist

Denzel Washington spielt in „Roman J. Israel, Esq.“ einen gewissenhaften Anwalt, der sich in ein moralisches Dilemma verstrickt.

Von Andreas Busche

Roman J. Israel ist aus der Zeit gefallen, nicht nur in modischer Hinsicht. Mit seinem Afro und den verbeulten Anzügen macht der Anwalt auf die „Schwestern“ jedenfalls keinen Eindruck, wenn er über die Bürgerrechtsbewegung referiert oder die Laschheit der „Black Lives Matter“-Generation kritisiert. Roman weiß die Vorzüge seines MP3-Archivs zu schätzen. Aber zuhause knistert Pharaoh Sanders auf dem Plattenteller (die FreeJazz-Liturgie „Elevation“, wie passend), während er routinemäßig seinen Beschwerdeanruf tätigt, weil nachts auf der Baustelle gegenüber wieder Betrieb herrscht. Roman J. Israel ist eine weitere Paraderolle für Denzel Washington, der nach seiner Nominierung 2017 für „Fences“ zum zweiten Mal in Folge gute Gründe hatte, bei der Oscar-Verleihung eine demonstrativ finstere Miene aufzusetzen.

Durch den Herzinfarkt seines langjährigen Kanzleipartners steht Roman plötzlich exponiert da. Er war der Mann für die harten Fakten, der Rechercheur im Hinterzimmer, der seinem todkranken Mentor, einer legendären Figur der Bürgerrechtsbewegung, zu strahlenden Auftritten im Gerichtssaal verhalf. Roman hat die Arbeit hinter den Kulissen immer vorgezogen, denn er leidet unter einer Form von Autismus, die Regisseur und Drehbuchautor Dan Gilroy in seinem zweiten Film „Roman J. Israel, Esq. – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ (man könnte den umständlichen deutschen Titel fast als Hommage an die Anwaltsdramen des großen Sidney Lumet verstehen) zwar nicht weiter thematisiert, aber mit jedem erdenklichen „Rainman“-Klischee ausstaffiert. Roman ist ein Faktenhuber, sozial überfordert, gleichzeitig verfügt er über eine untrügliche Intuition für vermeintlich Nebensächliches.

Altruismus rechnet sich nicht mehr

Nun aber will die Tochter seines Partners die Kanzlei abwickeln, weil sich Altruismus in der heutigen Zeit nicht mehr rechnet. Sie holt dafür den slicken Karriereanwalt George Pierce (Colin Farrell) an Bord, der die Geschäfte kommissarisch leiten soll. Der findet Gefallen an dem komischen Kauz mit seinen schlecht sitzenden Anzügen; vor allem aber verfügt Roman über eine Qualität, die Georges eigene Kanzlei gut gebrauchen kann: ein soziales Gewissen.

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Um die öffentliche Moral ging es schon in Gilroys manisch-fiebrigem Regiedebüt „Nightcrawler“, in dem Jake Gyllenhaal einen auch körperlich ausgehungerten Hobbyreporter spielt, der eine Marktlücke entdeckt hat. Mit einer Kamera ausgerüstet, fährt er die nächtlichen Straßen von Los Angeles ab, auf der Suche nach spektakulären Polizei-Einsätzen, um die 24-Stunden-Nachrichtenschleifen mit frischem Blut zu versorgen. Romans Moral hingegen ist unanfechtbar, was auch damit zusammenhängen könnte, dass seine mentale Kondition einer unbestechlichen Logik Vorschub leistet. Diesen medizinisch eher fragwürdigen Zusammenhang, der jedoch einen guten Kinostoff hergibt, stellt Gilroy implizit her.

Kampf gegen ein "weißes" Rechtssystem

Denzel Washington verleiht Romans zunehmender Frustration eine impulsive Energie. Aus seinem vertrauten Umfeld herausgerissen, erweisen sich seine moralischen Ansprüche plötzlich als brüchig. In Georges Starkanzlei hat er es mit Berufszynikern zu tun, die seine „Pro Bono“-Arbeit zur Aufwertung ihres Firmenprofils benutzen. Er selbst bereitet akribisch einen „Jahrhundertprozess“ vor, der die US-Justiz reformieren soll – ein Rechtssystem, das schwarze Jugendliche am Fließband verurteilt und inhaftiert. Doch dann begeht er in einem schwachen Moment einen folgenschweren Fehler, der sich nur zu einem hohen Preis korrigieren lässt.

Gilroys Film beginnt mit einer Selbstanklage, Roman J. Israel gegen Roman J. Israel. Nach dieser Eröffnung nimmt die Geschichte als Flashback eine epische Wendung: Was Gilroy in einem Zeitraum von drei Wochen erzählt, würde im Serienzeitalter für zwei Staffeln ausreichen. Das Drehbuch schlägt einige seltsame Haken, der Plot nimmt sich dramaturgische Freiheiten – etwa in der Nebenhandlung mit der jüngeren Aktivistin Maya, die im Roman ihrerseits einen Mentor findet. Carmen Ejogo möchte man natürlich trotzdem nicht missen. „Roman J. Israel“ entwickelt sich gegen Ende immer hanebüchener, aber Gilroys Moralstück überzeugt trotz aller Winkelzüge dank seiner funky Ernsthaftigkeit.

In 6 Berliner Kinos; OV: Cinestar Sony-Center, OmU: Filmrauschpalast

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