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Kultur: Arte Povera

Das Land, wo die Baracken blühen: Die slowenische Künstlerin Marjetica Potrc in der Berliner Galerie Nordenhake

Das Bedürfnis zu wohnen ist ein zutiefst menschliches und wird von einer vitalen Industrie sowie höchst individuellen Vorstellungen begleitet. International unterscheiden sich dabei unsere Behausungen zum Essen und Schlafen gar nicht großartig voneinander. Längst sind Einrichtungskonzepte der Mode unterworfen, und die zum Kanon avancierte Individualität findet bei global sellern wie Ikea ihre adäquate Begleitung von der Wiege an. Die Angleichung gilt gerade an den Rändern der Gesellschaft: Die von design-orientierten Wohnprofis eingerichteten Cocooning-Tempel der Reichen sehen ebenso gleich aus wie die sich rasant ausbreitenden Armenviertel in den Peripherien rund um die großen Städte in Asien, Afrika und Südamerika. Hier entstehen aus billigsten Baumaterialien wie Plastikplanen und Wellpappen – manchmal auch nur aus Müll – Baracken, die keineswegs mehr nur als Übergangsquartiere angesehen, sondern als Lebensraum vehement verteidigt werden und, je nach Kinder- und Enkelzahl, den aktuellen Bedürfnissen ihrer Bewohner angepasst werden können.

Der Prototyp eines solchen Hauses steht zurzeit im Ausstellungsraum der Berliner Galerie Nordenhake: vier Wände, ein Dach, eine Tür, ein Zaun. Die slowenische Künstlerin Marjetica Potrc reduziert Architektur auf ihre formalen Grundelemente. Seit Mitte der neunziger Jahre entwickelt die ausgebildete Architektin skulpturale Wohneinheiten, die sich an die Self-Made-Kultur der Armut anlehnen. Ihre Recherchen führten die 1953 geborene Potrc dann auch in die Elendsviertel der Welt, zuletzt in die sich rasant ausbreitenden Barrios in Venezuela, wo sie mit anderen Künstlern, Städteplanern und Architekten an dem von der Bundeskulturstiftung geförderten „Caracas Case Project“ arbeitet.

Learning from Caracas

Um eine vordergründige Anklage sozialer Missstände geht es Potrc Skulpturen kaum, die unter anderem auf den Biennalen von Venedig, São Paulo und Istanbul oder im Guggenheim Museum in New York zu sehen waren. Vielmehr faszinieren die Künstlerin diese gated communities als „die erfolgreichsten städtischen Bauformen“, da sie die „Privatsphäre und individuelle Initiative“ betonen und sich wuchernd ausbreiten. „Caracas: House with Extended Territory“ lautet dann auch der Titel ihrer jüngsten Skulptur. Dieses „Haus mit ausgedehntem Territorium“ ist eine Berliner Version der mobilen Armenhäuser. Als Baustoffe dienen verschiedene Bierkisten, Drahtgitter, Backsteine und Kunststofffolien. Weiße Gipssäulen und die verschnörkelte Eisentür stammen aus dem Baumarkt und verweisen mit gelben Schmuckelementen an der türkisen und rosafarbenen Fassade auf das unbändige Bedürfnis, die eigene Umgebung zu dekorieren. Doch obwohl diese leuchtenden Farben zunächst eher an südamerikanische Leichtigkeit erinnern, wirkt die Hütte verschlossen wie eine Trutzburg. Zäune und Schutzgitter machen aus dem fröhlich-bunten Häuschen einen Hochsicherheitstrakt. Nur ein Stück weit kann sich der Besucher diesem nähern, das Innere bleibt ihm verborgen.

Überlebenskunst

In dieser Verschlossenheit unterscheidet sich die Skulptur massiv von mobilen Architekturen, wie sie etwa das süddeutsche Künstlerduo Hörbelt / Winter im Kunstkontext realisiert. Ihre schicken, semi-transparenten Außenskulpturen aus Mineralwasserkästen sind benutzbar und fügen sich je nach Bedarf unauffällig in den Stadtraum oder die Ausstellung ein. Bei Potrc wirkt die Architektur anarchischer, aber auch beklemmender. Denn die potentiellen Bewohner müssen offensichtlich wehrhaft sein und sich gleichermaßen ein hohes Maß an Unabhängigkeit schaffen: Auf dem Dach stehen eine Regentonne, eine Satellitenschüssel und eine Solaranlage. Fenster gibt es nicht. In der Skulptur trifft die aus blanker Not geborene Unterkunft so gleichermaßen auf den alten Traum vom autarken Leben, wie sie eine düstere Zukunftsvision ausmalt, in der sich jeder gegen jeden verteidigen muss: eine Behausung, die auf einen Lastwagen geladen werden kann und woanders wieder aufgebaut werden kann – oder muss. Hier ähnelt die Skulptur – wenn auch in völlig anderer Ästhetik – dann auch jüngeren Trends, wie der einer variablen Architektur.

Verweise auf Veränderungen urbaner Strukturen und Überlebensspezialisten finden sich auch in anderen Arbeiten der Künstlerin, wie der Fotosammlung von Wildtieren in der Großstadt oder Recherchen über leer stehenden Wohnraum. Die Galerie zeigt zwei Serien von Zeichnungen (14 000 Euro und 30 000 Euro), auf denen ein Sicherheitsspray gegen einen solchen „Stadtbären“ zu entdecken ist. Die größere der beiden Papierserien wurde bereits an einen Privatsammler verkauft und auch die „Caracas“-Hütte ging inzwischen für 35 000 Euro an ein spanisches Museum. Die Vorstellung, dass diese subversive Berliner Gartenlaube bald im institutionellen Rahmen steht, ist allerdings durchaus auch unbehaglich. Denn wie bei Santiago Sierra, der in seinen Kunstaktionen Arbeitslose oder Migranten gegen Geld für absurde oder gar schmerzhafte Tätigkeiten engagiert, oder Boris Mikhailov, der Obdachlose in seiner ukrainischen Geburtsstadt fotografiert hat, bleibt die Begegnung mit realer Armut im Kunstraum immer ein sehr schmaler Grad – selbst wenn das Werk so reflektiert und artifiziell ist wie bei Marjetica Potrc.

Galerie Nordenhake, Zimmerstraße 88 – 91, bis 28. Februar, Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

Katrin Wittneven

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