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Kultur: Asche meiner Freude

Die neue Prohibition: Europa folgt Amerika – Rauchen in der Öffentlichkeit steht am Pranger. Überlegungen zur Gesundheitspolitik und Doppelmoral

Nun hat es auch Irland erwischt, und Irland ist kein Land wie andere Länder. Vielmehr ein Symbol: Europas grünes, blaues Reich der Trinker und Träumer, der Dichter, Sänger und Raucher – von James Joyce bis Brendan Behan, von Samuel Beckett bis zu Alan Parkers für Augen und Ohren unvergesslichen „Commitments“. Seit letztem Montag aber gilt in der Republik Eire Europas schärfstes Rauchverbotsgesetz. Nicht nur in allen irischen Pubs, Restaurants, Clubs und Diskos, auch in Büros, öffentlichen Gebäuden und selbst auf Fischkuttern ist jeglicher Tabakgenuss untersagt. Cigarettes and whiskey, das legendäre Paar, sind somit öffentlich geschieden, und das Dublin von Guiness und Ulysses wechselt das Klima.

Was den Luftraum in den Pubs angeht, wird das wohl eine Verbesserung sein. Doch ist es auch ein Kulturbruch. Amerika hat ihn, bis hin zu den Bays von Los Angeles und den Bars von Manhattan, bereits vollzogen. Trotzdem bleibt die US-Zigarettenindustrie die größte der Welt, und die neuen Restriktionen der Gesundheitspolitik sind wie noch jede Prohibition eine Mischung aus wohlmeinender Volksfürsorge, eiferndem Puritanismus und sozialer wie ökonomischer Doppelmoral. Jahrelang hat man sich dabei in Europa über das amerikanische Exempel mokiert. Jetzt freilich folgt der alte Kontinent der Neuen Welt (die als Neuigkeit einst auch den Tabak aus Indianerlanden brachte) mit immer schnelleren Schritten.

Großbritannien hat Zigaretten inzwischen derart mit Abgaben belegt, dass die 20er-Packung etwa 7,70 Euro kostet; während Deutschland die viel diskutierte Steuererhöhung um einen Euro pro Zigarettenpäckchen noch kompromisslerisch von 2004 bis 2006 streckt, schlägt der französische Fiskus längst kräftiger zu – und ein generelles Rauchverbot in Cafés und Restaurants ist bisher nur am zivilen Ungehorsam der Gauloise-gewöhnten Wirte und Gäste gescheitert. Dafür hat die konservative Regierung eine zweite Revolution angezettelt, die den Franzosen ihren Rouge mit neuen Alkoholsteuern, Werbeverboten und Warnaktionen als flüssige Droge madig machen soll. Was die Winzer im Bordeaux und Burgund mitsamt der Champagnerwirtschaft auf die Barrikaden treibt. Man stelle sich diesen Kulturkampf auf etwas niedrigerer Stufe bei den deutschen Biertrinkern vor – wobei zumindest in Bayern der Hopfensaft steuerlich noch immer als Nahrungsmittel gilt.

Oder Italien: Trotz Berlusconis verständlichem Hang zum Neoliberalismus jagt dort ein antinikotinbesessener Gesundheitsminister die Raucher aus den Trattorien. Das lässt seit letztem Herbst die italienischen Restaurantbesitzer verzweifeln, die verqualmten Toiletten stinken wie früher in unseren Schulen, und wildfremde Gäste schließen spätestens beim Dessert miteinander Zigarettenduldungsbündnisse, derweil der Patron, was sonst nur im Palermo der Mafia geschah, aus Angst und Solidarität die Türen des Lokals zusperrt. Auch steht im lässigen Italien, das der Welt mit Italo Svevos „Zeno Cosini“ den größten Roman über die immer neue allerletzte Zigarette geschenkt hat, auf den Zigarettenpackungen knallhart „Rauchen tötet“ – nicht wie im strengen Deutschland weicheiernd umständlich „Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“. Von anderen Varianten („kann die Spermatozoen schädigen“) gar zu schweigen.

Eben diese neuen Warn-Botschaften auf Europas Zigarettenschachteln zeigen die Ambivalenzen der ganzen Antirauchkampagnen. Brüssel hat für die EU zwar seine „Tabakprodukt-Verordnung“ erlassen, die unter anderem noch vorsieht, dass ab 1. Oktober auf Zigarettenschachteln auch kleine Raucherlungen und ähnliche nikotin- und teergeschädigte Innereien abgebildet werden können (wer wird das wohl machen? Die Sache bleibt freiwillig). Allerdings ist Brüssel, das beispielsweise in Griechenland lange den Tabakanbau subventioniert hat, für die Gesundheitspolitik der EU gar nicht zuständig. Diese gehört nach wie vor zu den nationalen Kompetenzen. Was Brüssel hier anregt und anregelt, betrifft wirtschaftspolitisch die Vereinheitlichung des EU-Binnenmarktes, weshalb alle Werbegebote („die EU-Gesundheitsminister warnen...“) zwar den Wettbewerb abstimmen, aber nur vordergründig hehreren Zielen dienen.

Ohnehin wird hier mit harten Bandagen gekämpft. Die Zigarettenindustrie verweist auf ihre ökonomische Bedeutung und zigtausend gefährdete Arbeitsplätze, während Mediziner, Politiker, Pädagogen immer mehr jüngere Raucher beklagen (vor allem Mädchen, in Deutschland liegt das „Einstiegsalter“ bei 13 Jahren). Freilich gibt es keine Anzeichen, dass die seit Jahren verschärften Werbevorschriften den Tabakkonsum bei Jugendlichen beeinflusst hätten. Im Gegenteil: Die Horrorbotschaften auf den Zigarettenpackungen wirken cool, dazu boomen neue Etuis und eigene Aufkleber.

Obwohl keine der Milliardenklagen vor allem amerikanischer Krebskranker gegen die US-Tabakindustrie bisher die Berufungsinstanzen überlebt hat, gelten die Gesundheitsrisiken des aktiven und (teilweise) passiven Rauchens als wissenschaftlich und juristisch gesichert. Dennoch rechnet man beispielsweise in Deutschland die rund 14 Milliarden Steuereinnahmen gegen die eher grob geschätzten 20 Milliarden Gesundheitskosten im Zusammenhang mit Raucherkrankheiten gegeneinander auf – und nicht nur Zyniker merken an, dass jeder ältere Rauchertote immerhin die Rentenkosten senke.

Mit der Osterweiterung der EU entstehen jetzt noch weitere Probleme. Der Osten, das gilt bis Shanghai, war selbst in seinen rötesten Zeiten doch eher: blau. Gezeichnet, getröstet vom Alkohol und Tabakdunst. Während osteuropäische Touristen in Downtown New York bisweilen noch glauben, dass dort an jeder Ecke eine belle de jour auf Kundschaft wartet – es sind die smarten, in ihren Pausen in Hauseingängen rauchenden Sekretärinnen und Managerinnen des Finanzdistriktes –, erleben Reisende aus den USA oder Westeuropa noch bei jedem Besuch in Riga, Krakau oder Budapest einen Kulturschock: wenn alle und alles ab dem frühen Morgen mit jener Selbstverständlichkeit schlotet, die wir schon fast vergessen haben. Eine schuldige Unschuld, die uns in Filmen mit Humphrey Bogart, David Niven oder Jean-Paul Belmondo (der in „Außer Atem“ selbst im Bett niemals die Gauloises aus dem Mundwinkel nahm), ja, die uns selbst noch in Paul Austers wunderbaren filmischen Brooklyn-Balladen „Smoke“ und „Blue in the Face“ inzwischen wie Zeichen einer längst versunkenen Epoche erscheint.

Diese neue, raucherarme Zeit hat nur östlich (und südlich) von Westmitteleuropa noch nicht begonnen. Also erobern bei uns aus dem Osten geschmuggelte oder demnächst wohl EU-halblegale Re-Importe westlicher Zigaretten zu Low-tax-Preisen den Markt. In Deutschland wird diese Quote bei 150 Milliarden Zigaretten pro Jahr auf bis zu 30 Prozent geschätzt. Die Tabakindustrie aber setzt ihrerseits auf den Ost-, den Fernostmarkt: wo bis zu 500 Millionen chinesische Raucher, die tatsächlich noch „Gesundheitszigaretten“ kennen (die Marke Long Zhong!), statt auf ihr einheimisches Kraut auf Lucky Strike, auf Marlboro & Co. warten. Ein riesiges Reich der Kippe. Somit verlagert der Westen auch diesen Emmissionshandel.

Es gab schon immer Phasen, in denen der blaue Dunst wie Opium fürs Volk von Staats wegen geächtet wurde. Lange bevor Chemiker in Göttingen 1828 im Tabak einen Schadstoff entdeckten, den sie nach dem französischen Diplomaten und Importeur Nicot benannten (der die indianische Pflanze allerdings für ein Heilmittel hielt), ließen türkische Sultane pfeifenqualmende Untertanen foltern und hinrichten, kannte die zaristische Gerichtsbarkeit in solchen Fällen den Nasenaufschlitzer. Später wechselte dann das Köpfen zum Schröpfen, und vor der Tabaksteuer kam die Luxussteuer. In anderer Weise unerbittlich zeigt sich heute die amerikanische Justiz: In Kalifornien und Texas gönnt man selbst einem Todeskandidaten vor der Exekution keine letzte Zigarette mehr. Weil Rauchen der Gesundheit schadet.

Zum Absurden neigt auch die Deutsche Bahn. Sie hat auf unseren Bahnhöfen das Rauchen verbieten lassen – auf dass die weiten Hallen nicht mehr von weggeworfenen Schachteln oder Kippen verunziert werden. An die Gesundheit denkt solche Hygiene folglich nicht. Auch nicht ans Marketing. Denn obwohl in den verkapselten, frischluftfreien, mitunter überfüllten Zügen die Mehrzahl aller Reisenden seit Jahren (mindestens temporäre) Nichtraucher sind, bietet die Deutsche Bahn weiter stur bis zur Hälfte Raucherabteile, übel riechend, nicht nur für Kunden mit Kindern eine Zumutung. Und die Luft in den neuen Büffet-Wagen, einer mobilen Raucherlunge, wirkt zum Schneiden – zum Meiden.

Die Ausweitung der Nichtraucherzonen ist in vielen sensiblen, gefährdeten oder gefährdenden Bereichen des Miteinanderlebens unstreitig sinnvoll. Vielleicht sogar heilsam. Aber es gibt – wie beim Alkohol – nicht nur die Sucht und den Missbrauch, nicht nur Krankheit und frühen Tod. Es gibt hier auch den Genuss, die Lebenskultur. Rauchen in Gesellschaft ist auch ohne Friedenspfeife ein versöhnlicher, oft anregender, vom Flirt bis zur Intimität sogar schöner Akt. Rauchen in halbwegs gelüfteten öffentlichen Räumen gehört bisher: zur sozialen Kultur. Wenn aber bei einem amerikanischen Dinner europäische Gäste, die zwischen den Gängen gerne einen Aschenbecher und zum Essen gerne mehr als ein Glas Wein hätten, bisweilen schon als politisch unkorrekt auffallen – um sich später freilich über eine kiffende, koksende Runde wundern zu dürfen, dann ist das keine untypische Erfahrung. Prohibition in moderen Zeiten war ohnehin nie ein Erfolg, weder moralisch noch gesundheitlich oder politisch. In den USA hat sie die von Mussolini aus Neapel und Sizilien vertriebene Mafia groß gemacht, in der UdSSR versetzte sie Gorbatschows Perestroika den letzten wodkaseligen Todesstoß, und was verboten ist, weiß nicht nur Biermann, macht uns gerade scharf.

Vor allem die Jungen erkennen die Doppelmoral. Sie kleben auf ihre Zigarrettenschachteln den Slogan „Auch Autofahren kann tödlich sein“. Das mag mehr witzig als weise sein. Klüger indes und wirkungsvoller als immer neue Verrenkungen der Werbung oder generelle Restaurant-Rauchverbote wären zum Beispiel Risikozuschläge bei der Krankenversicherung. Ansonsten gilt ein Lieblingsspruch meiner Großmutter, die keine Raucherin und eine mäßige Trinkerin war: Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin. Doch nach einem alten Brauch, stirbt die andere Hälfte auch.

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