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Kultur: Asien-Pazifik-Wochen: Glück im Umweg

Jochen Hahn kennt Lin Zhaohua seit 1989. Jürgen Flimm hatte ihm den Regisseur vom Experimentiertheater Peking vorgestellt, Hahn selbst war damals gerade dabei, Peter Steins "Orestie" in Moskau zu produzieren.

Jochen Hahn kennt Lin Zhaohua seit 1989. Jürgen Flimm hatte ihm den Regisseur vom Experimentiertheater Peking vorgestellt, Hahn selbst war damals gerade dabei, Peter Steins "Orestie" in Moskau zu produzieren. Immer wieder hat Jochen Hahn seitdem Festivals organisiert, einen Kulturaustausch mit Kasachstan und Kirgistan in die Wege geleitet, Off-Broadway-Stücke aus New York nach Europa gebracht. Doch auch China ließ ihn nicht mehr los. Ein erstes Theater-Gastspiel in Peking scheiterte, dann kam der 4. Juni 1989 und das Massaker auf dem Tiananmen-Platz. "Dann war auch für uns erst mal Sendepause."

1996 hatte Jochen Hahn in München das Festival "China Heute" zusammengestellt. Als aber auf der Pressekonferenz angekündigt wurde, dass auch prominente Dissidenten wie Harry Wu nach München kommen würden, zogen sich die Chinesen zurück - zwei Wochen bevor das Festival beginnen sollte. Wieder war er mit China gescheitert. "Das war sehr traurig und hat darüber hinaus alle sehr viel Geld gekostet, auch den Steuerzahler", sagt Hahn. Als Jahre später in Berlin ein Festivalleiter für das diesjährige Schwerpunktland der Asien-Pazifik-Wochen gesucht wurde, erinnerte man sich an Hahn und beauftragte ihn, in nur zehn Monaten ein Überblicksprogramm auf die Beine zu stellen. Das Ergebnis: ein einzigartiges Kultur-Festival mit mehr als 500 chinesischen Künstlern. An 30 Spielorten der Stadt wird Kunst und Kultur aus China präsentiert: Puppenspieler in Neukölln, zeitgenössische Kunst im Hamburger Bahnhof, eine Modenschau in der Arena, die Guangdong Modern Dance Company im Hebbel-Theater, mongolische Chormusik in der Werkstatt der Kulturen, Shakespeare im Haus der Berliner Festspiele, Jahrtausende alte Buddha-Statuen im Alten Museum, Videokunst auf dem Schlossplatz.

Das Festival versucht, einen historischen Bogen um das moderne China herum zu schlagen, und so eine kulturelle Bestandsaufnahme zu liefern. Ein anmaßender Plan, der sich aber als erstaunlich leicht umzusetzen erwies: "China ist größer, als man denkt, aber auch kleiner", sagt Jochen Hahn. "Es passiert kulturell eigentlich nur an drei Stellen etwas: Peking, Shanghai, Kanton. Wichtige Theater gibt es im ganzen Land vielleicht zehn. Das vereinfacht die Sache."

Keine eingebundenen Füße

Ausgewählt wurde das Programm in Abstimmung mit der Generalsekretärin des Staatlichen Amts für Presse und Information in Peking. Vor zwei Jahren, als Japan das Schwerpunktland der Asien-Pazifik-Wochen gewesen war, hatten die Japaner noch alles selbst ausgewählt. Das war nun anders: Jede Seite konnte Vorschläge machen, jede Seite hatte ein Veto. Hahn wollte etwa eine Fotoserie über eingebundene Füße zeigen, das war den Chinesen peinlich, die Berliner Seite lehnte dafür Kunsthandwerkliches ab. Manchmal wurden bestimmte Künstler erst abgelehnt, dann doch akzeptiert. "Wenn Du es eilig hast, mache einen Umweg", sagt Jochen Hahn. Er besteht darauf, dass es kein chinesisches Staatsfest geworden sei. "Wir haben keinen einzigen faulen Kompromiss machen müssen."

Vieles, das nun in Berlin präsentiert wird, ist sogar das Produkt einer engen künstlerischen Zusammenarbeit zwischen den Deutschen und den Chinesen. Die Modenschau in der Arena etwa, die über 300 historische Kostüme und Gewänder aus 2700 Jahren präsentiert, wurde für das Festival neu choreographiert und von deutschen Kostümbildnern bearbeitet. Nicht immer trafen solche Vorschläge auf Gegenliebe: Die Peking Oper auf der Straße aufzuführen, schien den Chinesen wie ein Sakrileg. Doch Hahn bestand darauf, er wollte einen neuen Kontext für die Aufführung: "Wir wollen unsere Geschichte überholen, die Chinesen wollen sie nach vorne tragen."

Choreographierte Sätze

Jochen Hahn, der für das Festival neun Mal nach China reiste, spricht noch immer wenig Chinesisch. Die Sprache ist für ihn vor allem ein ästhetisches Medium, und so wird sie auch präsentiert. Die Inszenierung "Alte Geschichten, neu erzählt" von Lin Zhaohua in den Sophiensälen nennt Hahn ein Stück von "choreographierte Sätzen - post-Beckett, Kafka, Kubin". Hier wird ein deutscher Schauspieler, der mitten im Geschehen sitzt, in Blöcken erzählen, was passiert. Für Lin Zhaohuas "Richard III." wird es eine Untertitelung geben: jedoch nur die Repliken von Richard.

Zwölf Millionen Mark kostet das "China-Fest", allein zwei Drittel davon trägt die chinesische Seite. Am 29. September findet ein 25-minütiges Feuerwerk statt - auch dies ein Geschenk Pekings an seine Partnerstadt. Warum machen die Chinesen das? "Die haben unheimlich Lust daran gefunden, nicht einfach ein Standardkulturprogramm zu entwickeln. Am Ende hatte sie ein Festivalvirus befallen." Und die kulturelle Breite, mit der sich die Chinesen darstellen, ist erstaunlich: 75 Bauern, die noch nie ihre Provinz verlassen haben, feiern den Feuergott in ihrer She Huo-Parade, zugleich präsentieren ebenfalls auf dem Schlossplatz junge Video- und Webkünstler ihre Arbeiten auf einer riesigen LED-Wand.

Einen gesellschaftspolitischen Teil, den das Münchner China-Fest zum Scheitern gebracht hatte, brauchen die Chinesen in Berlin nicht zu fürchten. Korruption, Internierung von Strafgefangenen, Drogenhandel, all das ist kein Thema. "Aber", so Jochen Hahn, "wenn ich ein Berlin-Festival im Ausland machen würde, dann würde der Bankenskandal ja auch nicht Thema."

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