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Kultur: ASS plus hohes C

Ein

von Christiane Peitz

Zeus hat einen Schnupfen. Wer dieser Tage ins Konzert, ins Theater oder in die Berliner Staatsoper geht, erlebt vor Beginn der Darbietung die immer gleiche Ansage: Ausgerechnet Sänger X, der den höchsten aller Götter spielt, ist indisponiert. Und Sängerin Y kann nicht einmal mehr krächzen, sie tritt zwar auf, leiht sich ihre Stimme jedoch von einer im Orchestergraben postierten Kollegin. Die Grippewelle macht auch vor der Kunst nicht Halt: Wie schade, wie traurig – wie schön. Denn ist es der Kunst nicht genau darum zu tun: der Unpässlichkeit von uns Menschenkindern, unserer Verletzlichkeit, ja Hinfälligkeit? Wären wir nicht so schrecklich empfindlich, gäbe es keine Musik, kein Theater, kein Kino, keine Malerei.

Seltsame Koinzidenz: In den Nachrichten verfolgen wir stündlich die Ärztebulletins über den siechen Körper des Papstes. Im Hebbel am Ufer tanzen Palästinenser und Israelis den NahostKonflikt unter dem Motto „Traumatisierte Körper“. In der Lindenoper verwandelt Sasha Waltz „Dido und Aeneas“, Henry Purcells barockes Drama von der Ohnmacht der Liebe vor den Gesetzen der Götter und der Hexen, der Über- und Unterirdischen, in das Wunder eines atemberaubenden Körpergesangstheaters. Eines Abends, der neben der Anmut und der Schönheit auch die Gewalt nicht ausspart, mit der die darstellende Kunst diejenigen zurichtet, die ihre irdischen Leiber zur Erbauung des Publikums verbiegen.

Politik, das ist die Bühne der Tüchtigen, der Pflichtbewussten: die mit wenig Schlaf auskommen, Krankheit mit Medikamenten wegdrücken, Machtworte sprechen. Die Helden der Theaterbühnen sind die Schwachen, die Pflichtvergessenen. Und die Sänger, die Schauspieler rackern sich ab, damit das Publikum begreift, was es heißt, dass die Deserteure der Macht aus Fleisch und Blut sind. Sensible, zerbrechliche, sterbliche Wesen.

Dass „Dido und Aeneas“ in dieser Spielzeit nicht mehr aufgeführt wird, liegt allerdings nicht an der Grippewelle, sondern an den ehernen Gesetzen des hauptstädtischen Musiktheater-Betriebs. Man nimmt es zur Kenntnis – und ist verschnupft.

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