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Kultur: Auf der Suche nach einem Stück

In „12-Spartenhaus“ überlässt Vegard Vinge das Publikum im Prater der Volksbühne sich selbst.

Es ist nicht einfach eine Premiere. Es ist ein Ereignis. Und ein eingelöstes Versprechen. Schließlich hatte der norwegische Regie-Extremist Vegard Vinge schon in den letzten Vorstellungen seiner Horrorshow „John Gabriel Borkmann“ übers schnarrende Mikrofon die Gründung eines „12-Sparrrrten-Theaters“ versprochen. „Borkmann“, nur zur Erinnerung: das war die Prater-Inszenierung des Künstlerkollektivs um Vinge, Ida Müller und Trond Reinholdtsen, die von den Sittenwächtern der „Bild“ zum „perversesten Theaterstück Berlins“ geadelt wurde. Ströme aus Blut, Urin und Sperma, Massenvergewaltigungen, Schamhaarrasuren, Steuergelder verprassende Schweinekünstler, die mit dem Pinsel im Hintern ein Bild malen! Skandal total. Es war die gleiche Inszenierung, die von der Mehrheit der Kritiker als überbordendes, entgrenzungsbereites, meist 12-stündiges Gesamtkunstwerk erkannt und gefeiert wurde. Als Comic-Extravaganza, Grand-Guignol-Oper und wilder Totentanz auf der Folie von Ibsens Stück. Eingeladen zum Berliner Theatertreffen im vergangenen Jahr.

Jetzt also öffnet im Prater tatsächlich das „12-Spartenhaus“. Und bleibt doch vorerst geschlossen. Alle haben sich auf eine lange Nacht in dieser Superbühne eingestellt, aber weiter als bis ins Foyer gelangt man nicht. Dort gibt es Teewasser und Butterbrote, während Mastermind Vinge hinter weißer Maske per Videoleinwand im Endlos-Loop doziert: „Das Publikum, das Publikum, das Publikum“. In einem anderen Raum, der zwischendrin zugeschaltet wird, findet eine fröhliche Splatter-Obduktion statt, Volker Spengler liegt im Krankenhaushemdchen daneben und schaut desorientiert. Erste Gerüchte machen die Runde: Das Stück ist noch gar nicht fertig! Den meisten Schauspielern wurde für heute per SMS abgesagt! Wunderbar. Das vielbesungene Publikum, es steht auf sich selbst zurückgeworfen im Rund und ringt mit den eigenen Darstellerqualitäten. Einmal fährt die Kamera auch durch das neu entstandene Wuchtbühnenbild im Prater-Inneren. Durch die comichaft überzeichneten Kulissen von Zuschauersaal, Gängen und Garderoben, auch durch einen U-Boot-mäßigen Unterbau – was schon erkennen lässt, dass wieder ein großer ästhetischer Wurf geglückt ist. Auf der Leinwand werden derweil die kommenden Attraktionen im 12-Spartenhaus annonciert. Stücke, die Titel tragen wie „John Gabriel Borkmann – Director’s Cut“, „Frauenhass“, „Mutterliebe“, „Nina Hoss“, oder, pardon, „Pimmelkäse“. Ach, man darf gespannt sein! Für die eingefleischten Vinge-Müller-Aficionados wird auch bereits das Rätsel enthüllt, welches Ibsen-Stück sich die notorischen Norweger in den künftigen Vorstellungen vermutlich zur Schlachtung vornehmen: „Ein Volksfeind“. Schließlich steht Vinge einmal mit der Pappgitarre auf der Treppe hinter den Einlasstüren und singt: „Unsere prächtige neue Badeanstalt“.

Wütet hier die Frechheit der Verweigerung? Mitnichten. Im Vinge-Kosmos besitzt diese Premiere eine eigene Konsequenz und Logik als Präludium. Vier Stunden sind derweil verstrichen, der Fama zufolge wurden die ersten Volksbühnen-Techniker im Biergarten gesichtet. Volker Spengler verlässt das Haus, die Leinwände rauschen.

Patrick Wildermann

Weitere Aufführungen am 12., 16., 19., 24. und 25. Mai

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