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AUFGESCHLAGEN ...: Aktive Sterbehilfe

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Sonntag, 23.35 Uhr, Gäste: Günter Grass, Stephen King).

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Sonntag, 23.35 Uhr, Gäste: Günter Grass, Stephen King).

10) Rüdiger Safranski: Goethe: Kunstwerk des Lebens (Hanser, 752 S., 27,90 €)

Was ist das Vorbildhafte an Goethes Lebensführung? Was kann man, neudeutsch gesprochen, von seiner „Work-Life-Balance“ lernen? Safranksi lässt in dieser echten Sternstunde der Biografik meisterhaft Goethes Wesen hervortreten. Dazu gehört dessen lebenslanger Versuch, den Tod auszutricksen: Wer bis zu seinem Ende rastlos tätig sei, dem sei die Natur verpflichtet, eine andere Form des Daseins anzuweisen. Probieren wir’s aus.

9) Bronnie Ware: Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen (Deutsch von Wibke Kuhn, Ansata, 352 S., 19,99 €)

Dieses Buch mit Geheimnissen für Glück und Wohlergehen, die eine australische Krankenschwester Sterbenskranken abgelauscht haben will, kommt aktiver Sterbehilfe gefährlich nahe: Niemand, der einen solchen Stuss lesen muss, wird sich übertrieben ans Leben klammern.

8) Ruth Maria Kubitschek: Anmutig älter werden (Nymphenburger, 160 S., 19,99 €)

Dass einen im Esoterikbereich auch mal der schiere Irrsinn anweht, überrascht kaum. Das einzige Mal, dass ich beim Lesen der Lebenshilfefibel dieser 82-jährigen Schauspielerin und Lichtprophetin keine entsetzte Grimasse schnitt, war beim Versuch, die empfohlene tägliche Gesichtsmassage durchzuführen. Griffprobe: „Im Anschluss lege ich den rechten Arm angewinkelt, die Finger von oben kommend, an den Haaransatz oben, an die Mitte der Stirn, und die linke Hand kommt an das Kinn. Das Kinn ziehe ich nach unten, die Stirn ziehe ich mit der Hand entgegengesetzt nach oben. (…) Nicht vergessen: zwanzig Mal.“

7) Meike Winnemuth: Das große Los (Knaus, 336 S., 19,99 €)

Jetzt will ich mal was von der Welt sehen, denkt die Journalistin Meike Winnemuth, nachdem sie mit einer halben Million Euro Gewinn eine Quizshow verlässt. Also auf nach Buenos Aires und Shanghai, Honolulu, Sydney, Mumbai und Havanna! Die Schilderung ihrer Grand Tour innerhalb eines Jahres ist ein unprätentiöser Expeditionsbericht ins eigene Ich – und eine schöne Feier der Vielfalt unserer Welt.

6) Iris Radisch: Camus – das Ideal der Einfachheit (Rowohlt, 352 S., 19,95 €)

1951 hält Albert Camus in seinem Tagebuch seine zehn Lieblingswörter fest: „Die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer, das Meer.“ Jedes dieser Wörter liefert Iris Radisch eine Kapitelüberschrift ihrer eigenwilligen und lesenswerten Biografie eines Schriftstellers, der die Einfachheit verehrte, ohne darüber einfältig zu werden.

5) Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens (Hanser, 256 S., 14,90 €)

Warum überall dort, wo der Einzelne den Nutzen und die Allgemeinheit die Kosten hat, die „Tragik der Allmende“ lauert, wieso exponentielles Wachstum immer wieder unser Denken übersteigt und weshalb „Framing“ beim Krimischreiben hilft: Dobellis Büchlein über die Fallstricke in unserem Denken ist augenöffnend und unterhaltend.

4) Malala Yousafzai und Christina Lamb: Ich bin Malala (Deutsch von Elisabeth Liebl und Sabine und Margarete Längsfeld, Droemer, 389 S., 19,99 €)

Am 9. Oktober 2012 feuert im pakistanischen Mingora ein Taliban drei Kugeln auf die 15-jährige Malala Yousafzai ab, weil sie ihr Recht auf Bildung und Schulbesuch einfordert und wahrnimmt. In diesem nicht immer vor Kitsch gefeiten Buch, das sie mit einer britischen Journalistin geschrieben hat, schildert die Tochter einer Analphabetin und eines Lehrers eindringlich, was Menschen aus Dummheit, Zynismus und religiöser Verblendung einander auch heute antun. Politisch wichtig, literarisch unerheblich.

3) Florian Illies: 1913 (S. Fischer, 320 S., 19,99 €)

1913 schreibt Robert Musil in Wien am „Mann ohne Eigenschaften“, in Paris wetteifern Picasso und Bracque miteinander, Franz Kafka erhält in Prag einen Brief vom Verleger Kurt Wolff, in dem sich dieser nach einer Novelle mit dem Titel „Die Wanze“ erkundigt, und in New York erscheint „Vanity Fair“ zum ersten Mal. Das Jahr 1913 als Anfang, nicht als Ende: Das größte Verdienst des kurzweiligen Buchs ist es, 1913 aus seiner Schattenexistenz als Vorhof zum großen Verderben des Ersten Weltkriegs zu erlösen.

2) Guido M. Kretschmer: Anziehungskraft (Edel Books, 237 S., 17,95 €)

Ein Ratgeber, wie Frauen sich anziehen sollen, verpackt in Anekdoten aus dem Leben eines Modemachers. Leider unterreflektiert und in forciert tuntigem Anwanzton: „Wir Frauen müssen doch zusammenhalten – egal wie kurz oder lang unsere Beine sind.“ Guido Kretschmers Lieblingswort ist „textil“: „Heute ist textil gesehen jeden Tag Sonntag.“ Literarisch gesehen ist dieses Buch Karfreitag.

1) Christopher Clark: Die Schlafwandler (Deutsch von Norbert Juraschitz, DVA, 896 S., 39,99 €)

Wer hat Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs? Diese simple Frage bringt jeden Zeitgeschichtler noch immer ins Schwitzen. Clarks fulminante Darstellung der Julikrise 1914 argumentiert gegen die weithin akzeptierte These Fritz Fischers aus den sechziger Jahren von der Hauptschuld des Deutschen Reichs am Kriegsausbruch. Eine optimale Einführung fürs Centenarium des Kriegsausbruchs – und eine Erinnerung an die Gefährdetheit jedes Friedens.

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