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Marcia Nardi

© Humanities Research Center/Harry Ransom

Aufsässige und höhnische Gespenster: Die amerikanische Dichterin Marcia Nardi wird wiederentdeckt

Mit einer ersten deutschen Ausgabe im kleinen Berliner Verlag Zero Sharp versucht Stefan Ripplinger der halbvergessenen Lyrikerin endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Von Konstantin Ames

Zum einzigen veröffentlichten Band der Dichterin Marcia Nardi schrieb Louise Bogan 1956 im „New Yorker“: „Oft genug scheint sie nicht Gedichte zu schreiben, sondern sich von ihnen schreiben zu lassen.“ Aber: „Miss Nardi beweist, dass sie jemand ist, der geschrieben werden sollte.“ Bogans Stimme war eine Ausnahme, die meisten Kritiken waren abschätzig. Von Nardis „Poems“ existieren nur noch einige wenige Exemplare der schmalen Erstausgabe.

Anders als bei Kritikern fand Nardi bei berühmten Kollegen wie Robert Lowell oder Randall Jarrell Anerkennung. Die verkorkste Rezeption hat der Übersetzer Stefan Ripplinger in einem kurzweiligen Essay dargestellt. Ripplinger, Berlins bescheidenster Literaturaktivist, hat für die Vielfalt der Tonlagen im Deutschen ein passend eigenwilliges Idiom gefunden. Auch ein Lakoniemonster wie „Let the prices soar/ (Ah the war … the war!/ It’s hell and it’s swell–/ Like liquor!“) bringt ihn nicht aus dem Tritt: „Was soll uns der krasse Preisanstieg/ (S’ist Krieg … Krieg!/ Das ist höllisch und ist bombig/ Und wird wie Schnaps runtergefetzt!),“ lautet die letzte Strophe von „Rüstungsfabrik“ (Defense Factory).

Marcia Nardi (1901 – 1990), Tochter litauisch-russischer Juden, hat ihre bürgerliche Herkunft aus Manhattan – der Vater Zahnarzt, die Geschwister Überflieger – gerne kaschiert. Ihre harten Lebensumstände als alleinerziehende Mutter wurden – nach der Ausgrenzung aus der Familie („white trash“) – nur durch gelegentliche Stipendien erleichtert. Der biografische Beipackzettel lanciert gleichwohl kein Opfer-Narrativ: „Diese Paria-Position nimmt sie ein, nicht nur als Frau, sondern als arme Frau und als alte Frau. Aber sie ist kein verstummter, geknickter Paria, sondern ein höhnischer, aufsässiger und geistreicher.“

Ripplinger hält seinen Groll angesichts der von ihm so empfundenen Indolenz des Literaturbetriebs gegenüber Nardi im Zaum und gerät sogar ins Schwärmen: „Mir ist keine Dichterin, kein Dichter bekannt, die oder der einen so subtilen Gebrauch vom Reim machte.“ Es sind Gedichte von zeitlos eleganter und wirkungsbewusster Konzeption zu finden wie „Gestrandet ohne Gedicht“. Darin heißt es: „Doch mussten das Erlöschen meiner Epoche / Und meines Lebens / Blasse Gespenster bleiben, / Denn ich konnte es nicht schreiben“.

Die von feministischer Theorie geprägte Frage, ob ihre Briefe an William Carlos Williams, die dieser in seinem Versepos „Paterson“ zur Gestaltung der Figur Cress ohne Wissen der Autorin verwendete, „ihre am meisten beeindruckenden Werke seien“, lässt sich nun eindeutig verneinen. Für die folgende Auflage dieser Edition von Zero Sharp wünscht man sich allerdings eine stabilere Bindung: Gedichte dieser Qualität werden tatsächlich gelesen.

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