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Kultur: Augenblicke des Jahrhunderts

Wie Körper sprechen: Eine Foto-Schau im Deutschen Historischen Museum Berlin

Es ist ein guter Herbst für Fotografie. Vor drei Wochen gab Helmut Newton bekannt, dass er seine legendäre Fotosammlung nun doch Berlin überlässt. Im Martin-Gropius-Bau ist, erstmals in diesem Umfang in Berlin, August Sanders enzyklopädisches Fotoprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ zu sehen. In Hamburg hat der Modefotograf und Sammler F.C. Gundlach in der südlichen Deichtorhalle gerade den Grundstein für ein „Internationales Haus der Fotografie“ gelegt. Und im Dezember wird die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit einer Retrospektive das Düsseldorfer Fotografen-Ehepaar Bernd und Hilla Becher ehren, das in der deutschen Gegenwartsfotografie eine ähnlich dominante Position einnimmt wie Sander während der Zwanzigerjahre.

Alle diese Stränge – und noch einige mehr – verschränken sich in einer Ausstellung, die ab heute im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums in Berlin zu sehen ist. „Von Körpern und anderen Dingen“ will nicht weniger sein als ein Überblick über die deutsche Fotografie des 20. Jahrhunderts, mit besonderem Fokus auf der Kunst-Fotografie. Kurator Klaus Honnef verfolgt gemeinsam mit seiner Frau Gabriele Honnef-Harling seit langem ein weit gespanntes Ausstellungsprojekt: die deutsche Fotografie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart aufzuarbeiten. Drei Ausstellungen sind aus diesem Ansatz bislang geboren: die – wegen ihres Titels damals recht umstrittene – Überblicksschau „Deutsche Fotografie“ 1997 in der Bundeskunsthalle in Bonn samt der Begleitausstellung „Und sie haben Deutschland verlassen müssen. Fotografen und ihre Bilder 1928–1997“ im Rheinischen Landesmuseum Bonn und die Ausstellung „Signaturen des Sichtbaren“ 1998 in Erfurt. Der voraussichtlich letzte Teil, zusammengestellt für die Städtische Galerie in Prag, erlebt nun in Berlin seine Deutschlandpremiere, bevor er im März nach Moskau weiterwandert.

Das Thema ist nicht ohne Tücke. Deutsche Fotografie im 20. Jahrhunderts, das ist als Ansatz zu allgemein. Und „Körper“, der vom Prager Auftraggeber angeregte Schwerpunkt, erweist sich angesichts der Fülle des Materials als zu eng. So wählen die Honnefs einen klugen Mittelweg, schlagen kühne Schneisen durch die Fotogeschichte, suchen, mit Mut zur Lücke, bewusst exemplarisch aus.

Körper, das kann dabei alles sein, nicht nur der menschliche Körper, den August Sander zu Beginn der Zwanzigerjahre als „Volkskörper“ geradezu lexikalisch erschöpfend zu erfassen sucht, den dann Leni Riefenstahl nach klassischem Vorbild propagandistisch nachmodelliert und den Thomas Florschuetz in seinen Fotografien aus der Spätzeit der DDR verzerrt und verstümmelt. Körper, das kann auch der Baukörper sein, die Architektur des Neuen Bauens, die Fotografen wie Werner Mantz in den Zwanzigerjahren emphatisch ins Bild setzen und deren Relikte Günther Förg zum Beispiel im Tel Aviv der Gegenwart sucht. Und Körper, das sind überraschend oft vegetabile Gebilde: Karl Blossfeldts legendäre Pflanzenbilder aus den Zwanzigerjahren und ihr spätes Echo etwa in der „Hohlraum-Konstruktion für einen Baum“ von Dieter Appelt oder Anna und Bernd Blumes surrealen Großformaten aus der Serie „Im Wald“ von 1989/90.

Dort kämpfen sich Menschen mühsam durchs Dickicht der Bäume. Je länger der Besucher durch Honnefs Foto-Labyrinth im Untergeschoss des Pei-Baus wandelt, desto stärker verknüpfen sich Haupt- und Nebenwege der deutschen Fotografie. Schönheit und Deformation sind solche Gegensatzpaare, die immer wieder auftauchen, von August Sanders Fotos von Kleinwüchsigen, Kriegsversehrten oder mit Schmissen gezierten Corpsstudenten über Herbert Tobias’ Fotodokumente vom Russlandfeldzug bis zum Fotografen Rasso Bruckert, der die Schönheit behinderter Menschen zeigt. Die Gegenlinie dazu, von Herbert Lists klassischen Griechenlandfotografien über Leni Riefenstahl bis hin zu Helmut Newtons starken Frauen, wäre ohne diesen Resonanzraum nicht denkbar.

Mensch und Maschine, Masse und Ornament wären weitere Schneisen. Auch die Modefotografie kann ihre enge Beziehung zur Kunst nie leugnen: Nicht in den 20er Jahren, der Zeit von Yva, Erwin Blumenfeld und dem viel zu unterschätzten Heinz Hajek-Halke, als die Modefotografie Ausgangspunkt für formale Experimente der Foto-Avantgarde war, nicht in den 70er Jahren, als F.C. Gundlach Anregungen der Op-Art übernahm, und erst recht nicht in der Gegenwart, wo Künstler wie Wolfgang Tillmans, Katharina Bosse oder Burkhard Jüttner längst nicht mehr zwischen Kunst- und Mode-Szene trennen.

Man könnte sich für einen solchen Überblick kaum einen geeigneteren Ort vorstellen als den eleganten Bau-Körper des Pei-Baus – auch wenn eine Ausstellung über Fotografie als Kunstform in einem historischen Museum zunächst deplaciert erscheint. Es sei vielleicht etwas unerlaubt, dass sich das DHM seit seinen Anfängen vor zwölf Jahren immer auch um Fotografie gekümmert habe, nimmt Dieter Vorsteher, stellvertretender Direktor des DHM und Initiator der Übernahme, denn auch die Kritik vorweg: „Man sollte denken, dass sich auch andere Häuser in Berlin um Fotografie kümmerten. Aber Berlin ging bisher eher stiefmütterlich mit seinen Fotobeständen um.“

Eine kleine Spitze gegen die im Sande verlaufenen Pläne eines Berliner Fotomuseums, das die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit dem „Deutschen Centrum für Fotografie“ am Ende nur in Rumpfform verwirklicht hatte. Immerhin, mit der Sammlung Newton und der Konzentrierung der Fotoaktivitäten in der Jebenstraße am Bahnhof Zoo steht im kommenden Jahr noch einmal ein Neustart für das Projekt „Fotografie in Berlin“ an. Und Klaus Honnefs Überblicksschau zeigt schon einmal, quasi als Vorgeschmack, die Verführungskraft, die von klug kuratierten Fotoausstellungen ausgehen kann.

57 Künstler mit über 320 Werken stellt das DHM vor, Klassiker, Stars und Neuentdeckungen bunt durcheinander gemischt. Das Sehen und Denken jedoch, so der Kurator etwas kokett, überlässt die Ausstellung den „größeren Köpfen“ des Publikums. Nicht umsonst zitiert der Katalog Vilém Flusser: „Hinschauen ist anstrengender als Anschauen, was erklärt, dass wir über alles Anschauungen und in beinahe nichts Einblicke haben.“ In Berlin kann sich das jetzt ändern.

Von Körpern und anderen Dingen. Deutsche Fotografie im 20. Jahrhundert. DHM, Pei-Bau, bis 16. Februar 2004. Täglich 10 bis 18 Uhr. Katalog (Edition Baus) 32 Euro

Christina Tilmann

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