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Kultur: Aus den Löchern gekrochen

Unesco-Delegation besucht Ausgrabungsstätten im Irak

Dass über den Kämpfen zur Machtverteilung im Irak das Land nicht vergessen werde, wünscht sich die Archäologin Margarete van Ess. Die Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts konnte sich während der einwöchigen Reise einer neunköpfigen Unesco-Delegation über die Zustände von Kultureinrichtungen nach dem Irak-Krieg informieren und berichtet nun in einem Vortrag in Berin über ihre Eindrücke – ein Bericht, der über verfallende oder verfallene historische Bauten oder geplünderte und/oder verbrannte Bibliotheken ebenso informiert wie über gestohlene Stromkabel und über die Stimmung in der Bevölkerung: „deprimiert und motiviert“.

Die durch das Embargo nach dem Golfkrieg verursachte desolate wirtschaftliche Lage des Landes hat – im Falle der Archäologie – Raubgrabungen in den Ausgrabungsstätten begünstigt: Einmal fehlt es an Geld, um Wächter zu bezahlen, zum anderen ist die Bevölkerung so arm, dass viele versuchen müssen, ihren Lebensunterhalt auf illegale Weise zu finanzieren. Dazu gehört die Suche nach und der Verkauf von archäologischen Objekten. Nicht nur die zerwühlten Grabungsfelder zeugen davon, auch der schwungvolle Handel mit archäologischen Fundstücken in den Städten Nasiriyah, Samawa, Diwaniyah und Bagdad lässt auf Plünderungen der Grabungsfelder schließen.

Dass eine Ausgrabungsstätte von einem ganzen Stamm, dem der seit Jahren dort beschäftigte Wächter angehört, geschützt wird wie die deutsche Grabung (seit 1912) von Uruk, ist eine Ausnahme. In der dreieinhalb Jahrtausende hindurch besiedelten Hauptstadt Nippur – bekannt durch die Goldfunde aus Gräbern der Königinnen (8. Jahrhundert v. Chr.) – sind seit Anfang Juni Raubgräber am Werk. Zwar, so van Ess, noch nicht besonders organisiert und vorerst auch nur nachts, aber das Zerstörungswerk hat begonnen. Wie auch in Isin. Dort haben Raubgräber seit Jahren alles umgepflügt. Sie haben vier bis fünf Meter tiefe Löcher in den Boden gegraben, die oft durch Tunnel verbunden sind. Dorthin seien sie offenbar auch verschwunden, als sie durch den Besuch der Unesco-Delegation gestört worden seien, erzählt van Ess. Sandalen und Wasserflaschen hätten darauf hingewiesen, dass gerade gearbeitet worden sei. Inzwischen seien 40 bis 50 Prozent der Stadt kaputt. Im Mai hatte bereits eine internationale Delegation von einer Mondlandschaft gesprochen, in die das Grabungsfeld verwandelt worden sei (Tagesspiegel vom 31. Mai).

Bleiben die Zahlen der in den Museen und Magazinen gestohlenen Objekte. Gegenwärtig fehlen rund 10500 Stück. Da aber längst noch nicht alle Listen durchgesehen seien und in den Magazinräumen teilweise „ein knietiefes Durcheinander aus Kisten und Objekten“ herrsche, könne sich diese Zahl durch Inventarprüfungen verändern – nach oben oder nach unten.

Wolfgang Lehmann

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