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Der Großintellektuelle - ein bloßes Denkmal. Bertolt Brecht vor seinem Theater, dem Berliner Ensemble.

© imago images/Jürgen Ritter/imago/Jürgen Ritter

Ausgespielt und ausgeblutet: Wolfram Malte Fues über die Figur des Intellektuellen

Der deutsch-schweizerische Germanist nimmt Abschied von einem überstrapazierten Typus.

Von Konstantin Ames

In der Kult-Komödie „Ein Fisch namens Wanda“ (1988) streiten sich der abgehalfterte CIA-Agent Otto (Kevin Kline) und die Titelfigur Wanda (Jamie Lee Curtis). Sie schimpft ihn einen Möchtegern: „Du denkst, du bist ein Intellektueller, du Affe!“ Er darauf: „Affen lesen nicht Nietzsche!“ Die Träger öffentlichen Räsonnements erscheinen auch Wolfram Malte Fues, dem Emeritus für Literatur- und Medienwissenschaft an der Universität Basel, überschätzt, gerade wenn er in Richtung der Fixsterne von immer kürzer Lauf- und Leuchtzeit blickt: „Der Intellektuelle kann sich anpassen, sich aus dem universellen in den punktuellen verwandeln – Slavoj Žižek etwa und Peter Sloterdijk gelingt das zuweilen recht gut –, aber ihr Beitrag verschwindet dann rasch und spurlos in dem gleichgültigen Meer aus ,Like‘ und ,Dislike‘.“

Der Problemaufriss dieses historisch angelegten, ins Heute sich vorwagenden Überblicks umfasst das verbeamteten Denkertum wie das aktualitätshastige Expertentum der Sozialmedien. Beide Pole sind Fues‘ Argumentation zufolge Schwundstufen einer vormals allseitigen Intellektualität, die sich – in Kristallisationen wie Diderot, Hegel, Adorno, Sartre – ihrer Rahmenbedingungen versicherte. Dem universellen Intellektuellen wird provisorisch ein Museum eingerichtet: „Seine Rolle ist ausgespielt, gerade weil er sie endlos weiterspielen könnte.“ Auf den Abgesang folgt sofort die Frage: „Oder nicht? Oder doch nicht?“ Überhaupt werden gegen die Menetekel-Rufe stets mögliche Auswege souffliert: „Ob die ,Climate Kids‘, die Notwendigkeit allgemeiner Theorie begreifend und sich um deren Praxis mit ihren Aktionen geradezu verzweifelt bemühend, als künftige universelle Intellektuelle diese Ohnmacht werden beenden können?“

Man mag es schade finden, dass einflussreiche Schulen wie Systemtheorie und Mediologie (Luhmann, McLuhan, Debray) und realistische Traditionen der politischen Theorie (Hannah Arendt, Carl Schmitt) schlankweg ausgeklammert werden. Es erscheint gleichwohl folgerichtig, weil Wolfram Malte Fues Theoriepurismus auf Transparenz und Lebbarkeit hin vorsortiert: Sophistikation, im weitesten Sinne codiertes Sprechen, ist ihm zwar Ausweis von Expertise, nicht aber eines Mehr an, mit Habermas gesprochen, kommunikativer Kompetenz. Das hört sich hier und da wie Schelte an, ist jedoch die überfällige Kritik an der Selbstverdrängung der Zunft aus einem öffentlichen Raum, der demokratisch und extrem technokratisch zugleich ist. Jeder verschafft sich potenziell Gehör, beteiligt sich dadurch aber am lauter werdenden Dröhnen („Prestidigitateur-Propheten“), das die zu Experten ernannten Technokraten („Virtuosen der faulen Vernunft“) mit autoritativen Verdikten zu überstimmen versuchen.

In der Einordnung medialer Hypes - Beispiel Richard David Precht - vereinen sich die beiden Grundtugenden des poetisch hellhörigen Wissenschaftlers: konzentrierte Beschreibung und Kolloquialität. Diese Studie liefert einen lebensphilosophisch inspirierten und sehr einladenden Beitrag, den Denkverdruss akademischer Milieus nachzuvollziehen wie auch deren Scheitern als Citoyens. Ihre Flucht in pragmatische Kompromisse wird von Fues als kleinstmögliches Karo gebrandmarkt, WTIKKK steht in diesem Zusammenhang für „Wissenschaft-Technik-Industrie-Kultur-Kunst-Komplex“.

Das Schmunzeln über diese griffige Begriffsprägung vergeht einem augenblicklich: „GAIA“ (ein holistisches umweltethisches Konzept von ‘Mutter Erde’) „muss alles, was sie besitzt, her- und den Subjekten dieses Komplexes zum Genusse geben. Dass dieser Besitz endlich ist und in absehbarer Zeit erschöpft sein wird, kümmert den Komplex nicht.“

Unter Ziehung sämtlicher Register – schriller (Jünger, Lyotard) bis volltönender (Foucault) – plädiert Fues für ein Wegkommen vom Prinzip function-follows-form (im Zeichen der Mediengerechtigkeit). Der Stil des Buchs changiert zwischen Understatement und Ernüchterungen: „Welche noch so kühnen Transformationspläne welche Partei welcher Farbe auch immer im Wahlkampf äußern mag, in ihrer politischen Praxis werden sie alle diesem Ziel alles unterordnen: einer Art Ordo-Liberalismus ad infinitum in immer neuen Variationen.“

Auch die kleinen Infamien werden nicht verschmäht, über den „Beschwichtigungs-Intellektuellen“, Brechts „Tellek-Uell-Ins“ (aus dem Drama „Turandot) nicht unähnlich, heißt es: „Mancherorts vertritt ihn eine mit dem Zweifel kokettierende Selbstironie, in deren Zügen das Selbstbehagen schimmert.“ Ein Nichtverhalten, beispielsweise Ignoranz, gegenüber diesen lakonisch-farbigen Untersuchungen zu einer Entlastungsfigur (Odo Marquard) von enormer soziokultureller Tragweite, ist unmöglich; das zeichnet einen brillanten Essay aus. Heute, wo durch diverse Solidaritäts-Aktionen, meist mittels zu leistender Unterschrift, der verbiesterte Agitprop-Appell „Sag mir, wo du stehst!“ fröhliche Urständ feiert, muss eine derart auf Skepsis pochende Position sehr fremd wirken.

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