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Kultur: Außenseiter, querköpfig

Das Berliner Babylon-Kino zeigt neue tschechische Filme

Aus Filmen auf einen Nationalcharakter zu schließen, ist heikel. Und doch liegt die Versuchung nahe, wenn man aus einem kleinen Land nur einzelne Kinowerke zu Gesicht bekommt und diese oft ähnliche Motive entfalten. Im tschechischen Film behauptet sich meist der kleine Mann (oder die kleine Frau) gegen die Zeitläufe, und der Zuschauer darf den lachenden Dritten spielen.

Nun scheint sogar ein Dokumentarfilm unseren Nachbarn einen Schwejkschen Charakter nachweisen zu wollen. Ein Jahr lang besuchten Vit Janecek, Miroslav Janek und Roman Vávra die Gemeinde Bystré im Adlergebirge, und immer passierte etwas Lustiges: Auf dem Feld spielte man den Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzung nach und feierte ironisch noch einmal die Ankunft der Roten Armee und der Amerikaner. Dann bietet der 1. Mai den Vorwand, sich über die kommunistischen Rituale lustig zu machen und „Die Internationale“ dröhnen zu lassen.

„Bitva o zivot“ (Lebenskampf) bringt das Wunder fertig, trotz zunehmender Arbeitslosigkeit immer die heitere Tonlage zu halten. „Battle for Life“, so der englische Titel, ist einer von sieben Filmen der letzten fünf Jahre, die teils Preise auf dem Osteuropa-Festival in Cottbus erhielten, jedoch keinen Verleih fanden. „Alltagsporträts“ nennt das Tschechische Zentrum die Reihe im Filmkunsthaus Babylon – Filme über Querköpfe, Außenseiter und Verlierer, nie Gewinner der neuen Verhältnisse. Der Begriff „Heimatfilm“ drängt sich auf, selbst bei den wilden Geschichten aus Prag, erst recht bei Alice Nellis hochgelobtem Debüt „Ene Bene“: Hier wird die Heimat zum lebensrettenden Elixier für die gescheite Jana, die aus der Hauptstadt in die Kleinstadt zurückeilt, um die Mutter in der örtlichen Wahlkommission zu vertreten. Doch was interessiert die Studentin schon, welcher Kandidat hier siegt, wenn sie den „Ulysses“ im Gepäck trägt und sie die Liebe zu ihrem verheirateten Professor aus der Bahn zu werfen droht? Auch Janas schwerkranker Vater sucht das Wahllokal nur auf, um den Kandidaten der Demokraten durchzustreichen. Die Demokratie kommt schlecht weg; immerhin lässt Alice Nellis den anarchistischen Funken glimmen, der in jedem guten Volksstück steckt.

Manchmal auch rennen die Figuren gegen unsichtbare Wände an. David Ondricek erzählt in „Loners“ von sieben jungen Leuten in Prag, die weder mit sich selbst noch miteinander im Reinen sind. „Cabriolet“ von Marcel Bystron, eine sensibel inszenierte Liebesgeschichte aus der Prager Subkultur, und Vladimir Micháleks Drogendealerfilm „Angel Exit“ graben sich tief ins jugendliche Gefühl der Ausweglosigkeit ein. Bystron bleibt dabei erzählerisch schlicht; Michálek dagegen zerstört, vom gleichnamigen Roman Jáchym Topols dazu angestachelt, jegliche dramaturgische Verbindlichkeit. Größer sind die Ideen, die von Petr Zelenkas Episodenfilm „Die Knöpfler“ aufsteigen. Sechs Geschichten, die vom amerikanischen Atombombenabwurf bis ins Ende des Jahrtausends reichen, fragen hinterlistig nach der Moral der Zukunft. Ein schönes Werk gelang Sasa Gedeon mit seinem an Dostojewski angelehnten Versuch „Die Rückkehr des Idioten“: Ein Narr, der alle liebt, verunsichert seine Verwandten, die im Grunde nur sich selbst lieben. Mit meisterhafter Beiläufigkeit stellt der preisgekrönte Film subtile existentiellen Fragen. Hans-Jörg Rother

Bis 30- September, alle Filme, außer „Die Rückkehr des Idioten“, in Originalfassung mit englischen Untertiteln.

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