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Gezeichneter Rhythmus. In „Counting in eight, moving by colour“ verbindet die Künstlerin Channa Horwitz Zeit, Bewegung, Töne und Farben.

© 1970, Channa Horwitz

Ausstellung Channa Horwitz: Windstoß auf Papier

Die zarten Notationen der US-Künstlerin Channa Horwitz in den Berliner Kunst-Werken.

Man kann nach diesen Zeichnungen tanzen oder sie als Basis für musikalische Aufführungen nutzen. Beides ist bereits geschehen. 2012 am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie oder 2014 bei der Whitney Biennale in New York. Man kann aber auch einfach nur staunend vor diesen abstrakten Kompositionen stehen und ihre leichthändige Eleganz bewundern. 2013 wurde die Zeichenkunst von Channa Horwitz auf der Venedig-Biennale erstmals einem internationalen Publikum vorgestellt. Die 1932 in Los Angeles geborene Künstlerin war kurz zuvor im Alter von 80 Jahren verstorben. Nun widmen die Berliner Kunst-Werke dieser spät Entdeckten eine Schau im Format einer umfassenden Retrospektive, die sich über zwei Stockwerke erstreckt.

Wie Hanne Darboven oder, in jüngerer Zeit, Jorinde Voigt hat Horwitz Notationen von großem ästhetischen Reiz geschaffen. Der Unterschied zu den Genannten liegt in der Nachvollziehbarkeit. „Horwitz’ System ist so klar, dass jeder es verfolgen kann“, sagt Ellen Blumenstein, die Chefkuratorin der Kunst-Werke.

Pause auf dem Tennisplatz

Channa Horwitz, studierte Künstlerin und Hausfrau, soll während der Ferien mit ihrem Mann Tennis spielen. Sie muss ihn um Erlaubnis bitten, wenn sie sich zurückziehen will, um ein wenig zu zeichnen. Der Ehemann gibt ihr zwei Stunden, kostbare Zeit, die Horwitz nutzt, um mit Zeichenpapier und Buntstiften zu agieren. In diesem Urlaub in den späten 60er Jahren begreift sie, dass sie mit bunten Kästchen auf kariertem Papier eine Notation entwickelt hat, mit der sie Zeit, Rhythmus und Bewegung in unzähligen Variationen visualisieren kann. „Es fühlte sich ganz so an, als ob ich eine neue Sprache entdeckt hatte, eine, die von allen Künsten verstanden werden konnte“, erzählte Horwitz viele Jahre später. „Aber da waren die zwei Stunden auch schon vorbei, und ich musste zurück zum Tennisplatz.“ Beseelt von ihren Gedanken, aber praktisch ohne Feedback arbeitet Horwitz weiter.

„Hübsche Zeichnungen von einer Hausfrau aus dem Valley“, äußert sich 1969 ein Kritiker der New York Times herablassend anlässlich der „Art and Technology“-Ausstellung im Los Angeles County Museum. Horwitz, die einzige weibliche Teilnehmerin, darf ihre Zeichnungen allerdings nur im Katalog veröffentlichen. Die Realisierung einer kinetischen Skulptur wird ihr verweigert. Die Arbeit mit Industriematerialien gelte für Frauen als unschicklich, soll ihr der Kurator Maurice Tuchman mitgeteilt haben. „Dass sie von der männerdominierten Kunstwelt verschmäht wurde, war gut für ihr Werk“, sagt hingegen Horwitz’ Tochter und Nachlassverwalterin Ellen Davis bei der Ausstellungseröffnung in Berlin. Sie charakterisiert Horwitz als stille Kämpferin, die sich von den Ansprüchen des Kunstbetriebs ohnehin eher irritiert zeigte.

Spielerische Denkgebäude

Die Zeichnungen, Malereien, Reliefs und Skulpturen, insgesamt 280 Exponate, fügen sich in der Berliner Ausstellung oft zu Serien und sind nicht durchgehend chronologisch geordnet. Horwitz ging selbst auch eher spielerisch mit ihren Denkgebäuden um. „Ihre Werke sind mit mathematischer Logik konzipiert“, sagt Ellen Blumenstein, „aber Horwitz hat die Regeln ständig geändert. So changieren ihre Werke zwischen Kontrolle und Zufall.“

In den frühen Arbeiten manifestiert sich der Schritt in die Abstraktion: Aus dem Jahr 1964 stammt eine Reihe von Collagen um die McGillicuttys. Horwitz nutzt das fiktive Ehepaar, um sich über ihre eigene, streng reglementierte und doch blumenbekränzte Lebenswelt zu mokieren. Die Künstlerin stellt das McGillicutty-Haus im Querschnitt dar und entdeckt, dass sie mit verschiedenen Positionen der Jalousien Zeit darstellen kann. Die „Language Series“, die Horwitz zwischen 1964 und 2011 immer wieder aufgreift, besteht dann nur noch aus geometrischen Formen. Mitunter werden die Kreise und Rechtecke in Sequenzen variiert, wie Standbilder eines abstrakten Animationsfilms. Später schieben sich einzelne Elemente in den Raum, aus den Bildern werden Reliefs, dann Skulpturen.

Die große Halle in den Kunst-Werken widmet sich ganz den „Sonakinatography“-Zeichnungen. Horwitz’ Wortschöpfung setzt sich aus den griechischen Ausdrücken für Ton, Bewegung und Notation zusammen. Schrift, geometrische Elemente und Farben verbinden sich zu Bildern, die wie Diagramme aussehen – als hätte jemand Drehpläne für ein wahnwitzig-unrealisierbares Filmprojekt gezeichnet.

Das Werk perfomt sich selbst

„Es sind eigenständige Werke“, sagt Davis, „aber sie können als Ausgangsmaterial für Musik oder für Tanzperformances dienen“. Horwitz’ Tochter tanzte Anfang der 1970er in John Crankos legendärem Stuttgarter Ballett-Ensemble und lehrt heute Tanz in Los Angeles. 2009 choreografierte sie eine Tanzperformance im Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam. Die zugrunde liegende Zeichnung „At the Tone“ – inspiriert von einer Telefon-Zeitansage – hängt in der Ausstellung.

Es sei kein Zufall, dass die Zahl 8 eine zentrale Rolle in den Arbeiten der Künstlerin wie in den Bewegungsabläufen von Balletttänzern spielt, so Davis. Eine Wandmalerei in den Kunst-Werken vollendet die letzte „Sonakinatography“-Reihe, die Horwitz selber nicht mehr fertigstellen konnte. Jeder der acht Flächen ist eine Farbe zugeordnet, von Dunkelgrün über Rosa und Signalrot bis Hellgrün. Jedes der Farbfelder funktioniert wie die Einzelphase eines Bewegungsablaufs, dabei mag man an ein Stück Stoff denken, das ein Windstoß auseinanderfaltet. Das Werk performt sich praktisch selbst. Stichwort frischer Wind: Ein jung gebliebenes Œuvre ist keine Frage des Jahrgangs.

Bis 25.5., KW Institute for Contemporary Art, Auguststr. 69, Mitte.

Jens Hinrichsen

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