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Kultur: Ausstellung: Das Doppelgesicht des Krieges

Wir wissen heute, dass mit Beginn des Einmarsches deutscher Truppen im Juni 1941 in die Sowjetunion eine Katastrophe begann. Bald standen sich Krieger aus Hitlerdeutschland und Krieger aus Stalins Sowjetunion gegenüber.

Wir wissen heute, dass mit Beginn des Einmarsches deutscher Truppen im Juni 1941 in die Sowjetunion eine Katastrophe begann. Bald standen sich Krieger aus Hitlerdeutschland und Krieger aus Stalins Sowjetunion gegenüber. Todfeinde. Und nun zeigt uns das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst, in dessen Räumen am 8. Mai 1945 die deutsche Kapitulation unterschrieben wurde, was wir endlich nach über 60 Jahren wahrnehmen sollten: dass im erbitterten Kampf zwar ein Kämpfer einem Kämpfer gegenüberstand, aber auch ein Mensch einem Mitmensch.

Museumsdirektor Peter Jähn erteilt im Katalog einer Historikerin, Susanne Schaffenberg, das Wort. Sie hat ihren Beitrag "Juni 1941 - Der Krieg der Großeltern" genannt, ein Rückblick nach 60 Jahren. Sie geht bei ihren Erinnerungen von dem aus, was Großeltern seinerzeit ihren Kindern erzählt haben, wenn diese nach Kriegserlebnissen fragten. Häufig waren die Antworten tragisch, ergreifend, manchmal auch spannend oder lustig. Aber hinter der erzählten Geschichte verbarg sich noch eine unerzählte Geschichte. Die Enkelgeneration ist die letzte - schreibt Susanne Schaffenberg -, "die die Kriegsgeneration nach ihren Erfahrungen befragen kann". Aber immer wieder verweigere diese die Preisgabe ihres Geheimnisses. Der Bericht schließt mit dem Hinweis, dass die in dieser Ausstellung präsentierten Biographien dem Krieg ein Gesicht geben. Und mit der ungeschönten und unkommentierten Darstellung bekommt die Enkelgeneration eine Vorstellung von den verschwiegenen Geschichten, die bis in diese Generation nachwirken.

24 Gesichter: 12 deutsche und 12 sowjetrussische stehen sich in dieser Ausstellung gegenüber. Ich betrachte das Gesicht des deutschen Offiziers Gerhard Philipp Humbert, und gegenüber das Gesicht des sowjetrussischen Offiziers Michail Iljltsch Plotnikow. Beide waren in Stalingrad eingesetzt. Humbert, 1916 in Halle an der Saale als Sohn eines Gutsbesitzers geboren, und Plotnikow, 1922 in Tatars (Nowosibirsk) als Sohn eines Kaufmanns zur Welt gekommen. Am 31. Januar 1913 geht Humbert als Angehöriger der 6. Armee in Stalingrad in Gefangenschaft. 1947 wird er nach Deutschland entlassen, wo er - das elterliche Gut ist enteignet - zahlreiche Beiträge über den 2. Weltkrieg veröffentlicht und bis zu seiner Pensionierung 1982 Aufsichtsratsvorsitzender eines großen Industrieunternehmens ist.

Plotnikow kommt 1943 nach schwerer Verletzung sechs Monate in ein Lazarett. Erst 1946 wird er aus der Roten Armee entlassen. Er arbeitet als Journalist und nach einem Jurastudium ist er bis zu seiner Pensionierung 1981 Leiter einer Sonderermittlungsstelle für Wirtschaftsvergehen. 1989 beginnt, durch die Vermittlung der Deutschen Botschaft in Moskau, eine Brieffreundschaft zwischen Humbert und Plotnikow. 1991 schreibt Plotnikow ein Gedicht über Humbert, in dem es heißt: "Ich will nicht in Feindschaft leben / aber das Vergangene soll man nicht vergessen / damit die Geschichte sich nicht wiederholt." Am 6. Februar 1991 schreibt Plotnikow einen Brief an Humbert, in dem es heißt: "Ich musste bei Stalingrad ab Juli 1942 kämpfen. Wir haben damals viel zu viel Leiden und Blut erleben müssen. Auch Sie konnten bei Stalingrad die Härte des Krieges und des Widerstandes erleben. Glauben Sie mir aber bitte, nachdem die Kämpfe bei Stalingrad zu Ende waren, und wir nun halb erfrorene, hungernde Soldaten sahen, da hatten wir keinen Hass mehr, sondern einfach Mitleid und Schmerz im Herzen." Es blieb nicht bei beiderseitigen Briefen. Zweimal folgte Plotnikow mit seiner Frau der Einladung Humberts nach Margarethenhöhe bei Königswinter. Die Freundschaft endete mit Humberts Tod am 4. August 1999.

Ein Teil der Ausstellung ist Emigranten gewidmet, wie der 1902 in Hamburg geborenen Tochter des Kaufmanns Salomon David, Meta Klibansky. Zwischen 1928 und 1935 gebar sie drei Söhne. 1929 wurde Metas Mann Rektor einer jüdischen Oberschule in Köln, wo die Familie bis 1942 lebte. Mit der Machtergreifung Hitlers wurde ihr Leben zunehmend eingeschränkt. Eine Übersiedlung nach England war vorbereitet, ließ sich aber durch den Krieg nicht mehr realisieren. Im Juli 1941 wurde der Familie eine Deportationsliste gesandt, für Meta David-Klibansky, für Dr. Erich Klibansk, die Söhne Hans-Raphael, Alexander und Michael sowie für die 1877 in Frankfurt am Main geborene Mutter von Meta Klibansky. Die sechsköpfige Familie sollte sich am 19. Juli 1941 in den Kölner Messehallen einfinden mit Lebensmitteln für drei Tage sowie je 50 Reichsmark Fahrgeld, je einem Koffer, einem Bettsack mit Bettzeug und Essbesteck. Am 20. Juli fuhr der Zug um 15 Uhr in Köln-Deutz ab. Der Transport sollte nach Theresienstadt gehen, wurde aber nach Minsk umgeleitet. Am 25. Juli 1942 kam die Familie in das Vernichtungslager Maly Trostenez in der Nähe von Minsk. Alle sechs werden erschossen und in einem Massengrab verscharrt.

Dem Bericht kann man entnehmen, dass allein in diesem Lager mindestens 115 000 Juden erschossen oder im Gaswagen ermordet wurden. Leider gibt es in der Ausstellung keinen Hinweis, wie viele Juden in der Sowjetunion während des 2. Weltkrieges umgebracht worden sind. Im "Spiegel" konnte man kürzlich unter dem Titel "Der Fall Barbarossa" nachlesen, dass "SS, SD und Teile der Wehrmacht während des Kriegs über zwei Millionen Juden in der Sowjetunion ermordeten."

Glücklicher endet die Geschichte des 1910 in Berlin geborenen Jazzmusikers Adolf Rosner. Er gründete 1930 die berühmteste Jazzband Berlins, die "Weintraubs-Syncorpators", die ich, der junge Berliner, mehrfach begeistert gehört habe. Nach der Machtergreifung der Nazis überließ er Hitler seinen Vornamen Adolf und hieß jetzt Ady Rosner. Und die Band ging auf Tournee nach Dänemark, Frankreich, Italien und Polen. Von dort flüchtete er nach dem Einmarsch deutscher Truppen Richtung Weißrussland. Wieder war er als Musiker gefragt, spielte mit einem Orchester sogar vor Stalin. Dann aber geriet der deutsch-jüdische Musiker in der Sowjetunion in politische Schwierigkeiten und verbrachte zehn Jahre im Gulag. Aber auch dort ging es ihm gut, denn er stellte eine Jazzkapelle zusammen. Nach der Rückkehr wurde er auch in Moskau wieder gefeiert. Schließlich gelang es ihm - er hat inzwischen seinen Vornamen Ady in Eddie umgewandelt - 1973 in seine geliebte Geburtsstadt Berlin zurückzukehren, wo er drei Jahre später starb.

Helmut Kindler

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