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Ausstellung: Denkmal für Durchschnittstypen

Stephan Balkenhols Skulpturen sind im Stadtraum omnipräsent – in der Galerie Johnen wirken sie besser, denn nur hier erkennt man die Leichtigkeit der Kunst.

Lörrach und Wolfsburg haben längst welche, Karlruhe, Bremerhaven, Kleve und Herford auch. Hamburg besitzt mindestens sechs, vier schwimmen in Alster und Elbe, zwei stehen auf festem Grund. In Berlin sieht man sie am Pariser Platz und in der Einkaufspassage des Domaquarees: Die Holzskulpturen von Stephan Balkenhol, meist Mann oder Frau auf Säule, sind beliebt und in vielen Städten zu Hause.

Kurz vor Buddybär-Status, mag mancher spotten. Jetzt gibt eine Ausstellung in der Galerie Johnen Gelegenheit, einen frischen Blick auf die Arbeit eines der wichtigsten deutschen Bildhauer der Gegenwart zu werfen – isoliert vom öffentlichen Raum und seinen konkurrierenden Eindrücken. Weit weg von Stadtmarketingtricks, Shoppingmeilen und Trubel.

Einsam stehen zwei Sockelfiguren in der spärlich bestückten Galerie und blicken sich mit diesen ausdruckslosen Gesichtern an, wie sie den Balkenhol-Menschen eigen sind.

Wer will, entdeckt in ihren Augen auch etwas Stolz und Trotz: dass sie sich gegenüber dem Material behauptet haben. Denn die bemalten Sockelfiguren wurden mit Motorsäge und Beitel befreit aus dem Holzblock, auf dem sie stehen; als wolle die Form über die ungestaltete Stele triumphieren. Natürlich nur andeutungsweise. Pompöse Gesten liegen Balkenhol nicht. Sachlichen, unaufgeregten Durchschnittstypen setzt er ein Denkmal. Menschen auf dem Weg zum Amt oder zur Wahlurne. Sie erhalten vor allem durch das Material, durch Maserung, Jahresringe, Astlöcher und Arbeitsspuren so etwas wie individuellen Charakter.

Seit einigen Jahren kombiniert der 1957 im hessischen Fritzlar geborene Künstler seine Skulpturen immer wieder mit Reliefen, die hinter ihnen an der Wand hängen wie Kulissen oder Kommentare. Die den Figuren einen Raum eröffnen. So auch hier. Der „Mann mit weißem Hemd“ steht vor einer südlichen Stadtidylle: ineinander verschachtelte Häuser, rote Ziegeldächer, Giebel, Erker, Türmchen. Das Prinzip Relief kommt hier zur vollen Geltung und gibt der Arbeit eine beeindruckende Tiefe. Der Frauenakt gegenüber steht vor einem abstrakten Relief, das ganz ohne Tiefenwirkung auskommt und den Betrachter herausfordert: Wie Jahresringe sind hier Spuren in das leichte afrikanische Wawa-Holz geschnitten, die Oberfläche ist mit weißer Lasur überzogen, die auch die natürliche Farbe des Holzes sein könnte. Der „Mann mit grünem Hemd“ im Untergeschoss der Galerie wiederum steht vor einer Tafel, aus der überdimensionierte Dominosteine ragen und ein dekoratives Muster ergeben.

Das Spiel mit dem Spiel setzt sich auch in den sechs hockergroßen Würfeln fort, die auf dem Boden liegen, als wären sie gerade gefallen, nebeneinander, übereinander. Auf einigen Seiten hat der einstige Rückriem-Schüler, der heute selbst unterrichtet, Punkte herausgewuchtet, auf anderen sind Reliefköpfe zu sehen. Könnte man die Würfel werfen, würden sich Kombinationen ergeben: die Blonde mit dem Rothaarigen, das Kind mit der Brünetten, die „Augen“ der Würfel, die Augen der Menschen, Zahlen, Zufälle. An Schicksal mag man indes kaum denken, so leichthändig wirkt diese Arbeit. Wie die Aufforderung zu einem fröhlichen Gesellschaftsspiel.

Die skizzenhafte Ausführung der Skulpturen und die hellen Farben, die Balkenhol dünn über das Holz legt, sprechen den Besucher freundlich an. Hier in der Galerie hat man mehr Freude an dieser Leichtigkeit als im Stadtraum, wo sie dem Künstler schnell als Unverbindlichkeit ausgelegt werden könnte. Daniel Völzke

Johnen Galerie, Schillingstraße 31, bis 1. September, Di–Sbd von 11–18 Uhr.

Daniel Völzke

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