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Maske in Fisch- und Menschenkopfform, die vor 1888 in Australien entstanden ist.

© The Trustees of the British Museum

Ausstellung "Enduring Civilisation" in London: Der Schmerz der Ahnengötter

Ein Kontinent wird besichtigt: Das British Museum in London zeigt in der Ausstellung "Enduring Civilisation" australische Kunst  – und die Eroberungen des Empire.

Ein schmuckloser, ovaler Rindenschild, der nicht weiter auffällt. Bemerkenswert ist eigentlich nur das kleine Loch darin, vermutlich drang hier ein Lanzenspitze ein. Dennoch handelt es sich um eines der „potentesten Objekte“ des Britischen Museums, so Direktor Neil MacGregor, zukünftiger Chef des Berliner Humboldt-Forums. „Symbolisch geladen, befrachtet mit Schichten von Geschichte und Legende, globaler Politik und Rassenbeziehungen“. Womit er schon die Ausstellung des Britischen Museums beschrieben hat, in der das Rindenschild nun hängt: die erste, eminent kontroverse Schau zur Kultur und Geschichte der australischen Ureinwohner und ihrer gewaltsamen Kolonialisierung.

Das Loch macht die Identifizierung leicht. Joseph Banks, der Botaniker, der mit Kapitän Cook um die Welt fuhr, erwähnt es in seiner Beschreibung der ersten Begegnung der englischen Weltumsegler mit den australischen Aborigines. Ganz freundlich ging es nicht zu an jenem 29. April 1770 in der Botany Bay. Banks feuerte eine Muskete ab, die Australier warfen Steine, einer ließ das Schild bei der Flucht am Strand zurück. „Als wir es aufhoben, sahen wir, dass es mit einer spitzigen Lanze nahe der Mitte durchstochen war“, schreibt Banks.

Das Schild ist eines der ältesten von rund 6000 ur-australischen Objekten, die heute im Besitz des Britischen Museums sind – gekauft, geschenkt, im Auftrag der britischen Kolonialherren nach London geschleppt oder gestohlen. Es steht, schreibt MacGregor in seiner „Geschichte der Welt in 1000 Objekten“, „an der Spitze von Jahrhunderten der Missverständnisse, der Verelendung und des Völkermords“.

Geschichten von Unterwerfung, aber auch von Widerstand und Überleben

Heißt das aber, dass wir, wenn wir das Objekt als westliche Erben der Kolonialisten im Museum betrachten, „an einem Akt des Diebstahls teilnehmen“, wie Zoe Pilger behauptet, die Tochter des australischen Filmemachers John Pilger, die wie viele die Rückgabe dieser Objekte fordern? Wäre damit Würde und Selbstachtung der entrechteten Ureinwohner besser genüge getan als durch eine Ausstellung wie diese, die ihre Geschichte vor und nach ihrer Enteignung erzählt?

„Enduring Civilisation“ ist die Vorschule für eine kommende Ozeaniengalerie und die erste Version einer Ausstellung, die im Herbst nach Canberra reist – wo der Streit erst richtig losgehen wird. Aber genau diesen Streit sucht MacGregor. Der Titel der Ausstellung ist ein Wortspiel. „Überdauernde Zivilisation“ und „erlittene Zivilisierung“, könnte man ihn übersetzen. Es geht um eine Geschichte von Unterwerfung und Ausrottung, aber auch um Akte von Widerstand und Überleben. Aborigines werden als Kulturträger auf höchstem Niveau und als Kulturopfer beschrieben. Ihr Gedächtnis reicht rund 40 000 Jahre zurück, länger als die irgendeiner anderen Kultur, fortgeschrieben und aufbewahrt in „Dreamings“, den abstrakt scheinenden Gemälden, die in Wahrheit visuelle Berichte einer intimen Partnerschaft von Land und Leuten sind, „Country“ genannt. Aber die Eroberer hatten von all dem keine Ahnung und erklärten Australien zur terra nullius, Niemandsland.

MacGregor ist, nach 13 Jahren als Direktor des Britischen Museums, gut für solche Kontroversen gerüstet, wie sie auch in Berlin auf ihn warten, wenn die ethnologischen Sammlungen an die prominente Stelle ins Stadtzentrum umziehen. Die Ausstellung ist Teil seiner Strategie, die Fragen von Gerechtigkeit in der Erbeverwaltung anzugehen. Kuratorin Gaye Sculthorpe, eine Angehörige der Palawa, einer von Hunderten von Völker- und Sprachfamilien, die es bis zum 18. Jahrhundert in Australien gab, hat sie als dialektischen Dreischritt organisiert.

Erst wird die Kultur der Aborigines erklärt und gefeiert, dann das Auftreten der Kolonialherren und ihre Auswirkungen beschrieben – was auch auf eine Beschreibung der komplizierten Provenienzgeschichte der Objekte hinausläuft, die auf den unterschiedlichsten Wegen ins Museum kamen: Diebstahl und Eroberung, aber auch Handel, Kauf und Geschenk. Reverend Samuel Mcfarlane etwa war ein Missionar auf den Torres-Strait-Inseln, der Hunderte von Objekten sammelte, durch Tauschhandel, Kauf, indem er ihre Herstellung in Auftrag gab und mit ihnen beschenkt wurde – auch die Krokodilsmaske, die nun ein Glanzpunkt der Ausstellung ist.

Der 1983 geborene australische Künstler Vincent Namatjira malte 2014 „James Cook with the Declaration“.
Der 1983 geborene australische Künstler Vincent Namatjira malte 2014 „James Cook with the Declaration“.

© Vincent Namatjira

Die allerbesten Stücke in der Schau sind zeitgenössischer Provenienz, entstanden aus dem Dialog und der Begegnung mit dem Anderen, den Eroberern, die unwiederbringlich Teil der Aboriginekultur geworden sind. Auf einem „Erinnerungspfahl“ des Aborigine-Künstlers Gawirrin Gumana, sind Kapitän Cook und der Ahnengott Barama fast einträchtig, mit einem Minimum von bitterer Ironie, als Doppelgottheit verzeichnet.

Ein T-Shirt mit der Aborigines-Flagge

Der dritte Teil erzählt von Protest, dem Kampf um Landrechte, Anerkennung der Aborigines in der australischen Verfassung, in der sie zunächst nicht vorkamen, bis zu der förmlichen Entschuldigung der australischen Regierung 2008. Das reflektiert nun auch die Debatte um die Objekte, ihre Rolle in Museen und ihre mögliche Rückgabe. Der 1978 geborene Künstler Jonathan Jones, ein Wiradjuri/Kamilaroi, der zur Eröffnung der Ausstellung eine Lichtinstallation im Court des Museums schuf, bezeichnet diese Museumsobjekte nun als „Geschenke unserer Ahnen, die uns bei unseren neuen Reisen helfen sollen, damit sie Sprungbretter werden für zeitgenössische Praktiken und Verstehensweisen“.

In einer Vitrine hängt ein T-Shirt mit der Aborigines-Flagge. Ur-Australier schenkten sie dem Museum, als sie 2006 nach langen Debatten zwei Bündel mit Ascheresten ihrer Ahnen abholen durften. „Lutruwita (Tasmanien) hat eine schwarze Geschichte“ steht auf der Brustseite, „Landrechte, Vertrag, gestohlene Generation, Kompensation, Gerechtigkeit“ auf dem Rücken. Nun ist auch das Hemd Teil der Sammlung. Die Objekte und ihre Geschichte sind unauflösbar verbunden. Eine Rückgabe würde diese Geschichte nur anders weiterschreiben, nicht rückgängig machen.

British Museum, London, bis 2. August

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