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Ausstellung: Max Jacoby: Die stille Geliebte

Berlin in den Sechzigern: Argus Fotokunst zeigt Aufnahmen von Max Jacoby

Der Asphalt war brüchig, von manchen Hauswänden hatte der Krieg den Putz gerissen, und noch immer lebten – Mitte der sechziger Jahre – Menschen in halb zerstörten Gebäuden. Vom Potsdamer Platz waren nur Reste der alten Herrlichkeit geblieben, umso heller strahlte Berlin am Kudamm oder am Europa-Center. Als John F. Kennedy 1963 vom Balkon des Schöneberger Rathauses seine legendären Worte an die von Mauer und Stacheldraht geteilte Stadt richtete, jubelten ihm Zehntausende zu.

Max Jacoby, 1919 in Koblenz geboren, 1957 aus dem argentinischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt, war ein Bildchronist im besten Sinne des Wortes. In keiner anderen Stadt fühlte er sich so sehr am richtigen Platz wie in Westberlin, wo er in der Goltzstraße in Schöneberg ein Atelier unterhielt - ausgenommen wohl Jerusalem, wohin es ihn zusammen mit seiner Frau Hilla seit Ende der siebziger Jahre immer wieder zog und wo er nach eigenem Bekenntnis inneren Frieden fand. Mehrere farbige Bildbände des Ehepaares wie „Shalom“ und „The Land of Israel“ sind dafür ein eindrucksvoller Beweis. Die Schwarz-Weißfotografie mochte ihm seitdem nicht mehr genügen, um das eigene Lebensgefühl wiederzugeben, der Freude über das Überleben von Krieg und Unterdrückung. Aber davon zeugen nicht minder die knapp vierzig schwarz-weißen Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren, allesamt aus Westberlin, die die Galerie Argus Fotokunst, seit langem eine verlässliche Stütze von Jacobys Werk, anlässlich seines 90. Geburtstags für ihn ausrichten wollte. Der Tod des Fotografen im März dieses Jahres kam ihr zuvor. So ist es eine postume Ehrung für einen Mann geworden, in dem diese Stadt auch dann noch einen ihrer treuesten fotografischen Begleiter hatte, als andere der Insel den Rücken kehrten. Die Auswahl holt einige berühmte Arbeiten von ihm aus dem Nachlass: die Kennedy-Bilder und die Porträts von Willy Brandt mit Familie. Am meisten beeindrucken jedoch die nüchternen, von warmer Anteilnahme geprägten stummen Aspekte des Alltags: der „Taubenmann im Tiergarten“ etwa, den ein Schwarm gefütterte Freunde umflattert, oder mehrmals die Bleibtreustraße, in deren Pflaster ornamentale Muster stecken.

Melancholie liegt über diesen unspektakulären, stets mit dem richtigen Gefühl für Distanz und Nähe aufgenommenen Szenen, und sie könnten ein guter Kontrapunkt zu den Jubelslogans sein, mit denen sich das neue Berlin heute vermarktet. Max Jacobys Freude am wiedererwachten Leben kam sehr still daher, etwa wenn er bei Nacht die Lichtspuren von Autos festhielt oder von oben die Geometrie des Verkehrs auf dem Ernst-Reuter-Platz studierte. Wenn die Politiker abgereist waren, blieb ihm das normale Leben. Auch oder gerade diese Aufnahmen könnten seinen Nachruhm begründen. (Preis pro Vintage-Print zwischen 600 und 1200 Euro) Hans-Jörg Rother

Galerie Argus Fotokunst, Marienstr. 26, Mitte; bis 26. 9., Di-Sa 14-18 Uhr.

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