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Installation von Otto Piene.

©  Galerie

Ausstellung "Sursum Corda": Was Worte auslösen

Verbrechen und Erleuchtung: Die fünftägige Ausstellung „Sursum Corda – Erhebung der Herzen“ macht die Baden-Württembergische Landesvertretung zur Kathedrale auf Zeit.

Knebeln. Speien. Brennen. Fetzen. Damit beginnt die Verwandlung des Raums. Wie eine Armee stummer Zeugen ziehen sich diese Worte in schwarzer Tinte an den weißen Wänden der Baden-Württembergischen Landesvertretung entlang. Den säkularen Ort der Berliner Politik haben die Kuratoren Constanze Kleiner und Stephan von Wiese gemeinsam mit Martina Köppen, der Leiterin des Katholischen Büros Berlin-Brandenburg, zu einer Kathedrale auf Zeit gemacht.

Ihre fünftägige Ausstellung „Sursum Corda – Erhebung der Herzen“ zeigt Werkgruppen unter anderem von Günther Uecker, Otto Piene und Karol Broniatowski. Die Schau, die den Herbstempfang des Berliner Erzbischofs Heiner Koch begleitet, steht im Zeichen des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus 2015 ausgerufen hatte und dieser Tage zu Ende geht.

Die Ausstellung ist also gewissermaßen auch Prozession und Selbstreflektion. Ihr Titel, so erklärt Constanze Kleiner, ist doppelsinnig gemeint: Einerseits auf die Hinwendung des Blicks nach oben, andererseits auf das Zusammenstehen gegen Gewalt, gegen die Verrohung der Gesellschaft im Großen und Kleinen. Diese vielseitige Bedeutung spürt man in Werken wie etwa Otto Pienes Installation „Lichtschleuse“ von 1990. Die runde, sich drehende Kugel bildet den Fixpunkt der präsentierten Arbeiten. Sie erleuchtet den Besucher im wahrsten Sinne des Wortes, strömt durch kleine Risse doch Licht auf ihn und in den Raum hinein. Und die Decke erscheint wie ein wogendes Meer.

Konkretes Abbild von Leid trifft auf abstrakte Bedrohung der Existenz

Vor allem aber überzeugt der wache Blick, mit dem die Kuratoren die Werke angeordnet haben. Kunst und Biografie der Künstler werden miteinander verwoben, Geschichte und Gegenwart aufeinander bezogen. Was immer wiederkehrt, ist das Gedenken und Warnen vor dem gewalttätigen Exzess, der aus der Verrohung der Gesellschaft entstehen kann. Die leidenden Frauen einer altmeisterlichen Darstellung des Kindesmordes zu Bethlehem gehen aus bestimmter Perspektive über in die Schattenfiguren der Gouachen von Karol Broniatowski, in denen er das Verschwinden von Körpern thematisiert. Das konkrete Abbild von Leid, die schreienden Münder, treffen auf die abstrakte, untergründig lauernde Bedrohung der eigenen Existenz.

Ähnlich verhalten sich Günther Ueckers buchstäbliche Abscheulichkeiten an den Wänden. Uecker hatte sie 1993 ausgestellt, um eine Auseinandersetzung über die Pogrome in RostockLichtenhagen, Solingen und Co. anzuregen. Die meisten Begriffe entnahm er dem Alten Testament, jeder enthalte ein „Verbrechen des Menschen am Menschen“. Uecker, der in seinen Nagelarbeiten sein Weltkriegstrauma verarbeitete, musste zwei neue Schreckensvokabeln hinzufügen: abklatschen und vergasen. Hoffentlich produziert die Moderne nicht noch mehr solcher Worte.

Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin, Tiergartenstr. 15, bis 20. November, täglich 15–20 Uhr

Giacomo Maihofer

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