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Die drei Termitenhügel entstanden als Verdauungsprozess der ältesten Organismen der Welt.

© Roman März

Ausstellung von Tobias Rehberger: Papier ist Pop

Das Haus am Waldsee zeigt zahlreiche Werke von Tobias Rehberger. Der Bildhauer hat die Villa dafür wieder nach ihrem ursprünglichen Grundriss rekonstruiert.

Gerade erst war das frisch renovierte Haus am Waldsee mit seinen großzügigen Raumfluchten neu zu genießen, da steht man schon wieder vor geschlossenen Türen. Verantwortlich dafür ist Tobias Rehberger. Der 2009 mit dem Goldenen Löwen der Biennale di Venezia ausgezeichnete Bildhauer erhält hier endlich seine erste institutionelle Einzelausstellung in Berlin, für die er die ehemalige Villa im englischen Landhausstil in ihren ursprünglichen Grundriss zurückverwandelt hat.

Wände, Türen, Fußleisten wurden wieder eingebaut für seine Schau, die den Titel „Inspiration is a little town in China – in Papier“ trägt. Das Wohnhaus mit seinen verschachtelten Zimmern wird so zur begehbaren Metapher für die unterschiedlichen Funktionen von Ästhetik, in diesem Fall der Kunst auf und aus Papier.

Es überrascht zunächst, dass die Überblicksausstellung der letzten 30 Schaffensjahre eines Bildhauers, der an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Popkultur und Design agiert, ausschließlich dem Medium des Papiers gewidmet ist. Doch der für seine raumfüllenden Installationen bekannte Künstler erläutert gewitzt: „Papier ist nicht nur geduldig, sondern auch großzügig.“ Es bietet ihm analog zu den zwölf neu entstandenen Räumen die verschiedensten Ausdrucks- und Präsentationsmöglichkeiten.

In jedem Zimmer anders versucht er zeichnend, aquarellierend, schreibend, druckend, bastelnd, faltend und klebend die großen Fragen der Kunst zu klären. Es geht ihm dabei um Autorschaft und Inspiration, Inhalt und Form, Autonomie und Funktionalität, Verhüllen und Offenbaren, Tradition und Innovation.

Produkte eines Verdauungsprozesses

Den Auftakt bildet ein Entree in Petersburger Hängung. Unterschiedliche Werkgruppen sind zu sehen, darunter die Fokus-Jubiläumscover prominenter Persönlichkeiten, denen die Geschichte von Erfolg und Scheitern mit einem Clowns Make-Up ins Gesicht gemalt ist. Darunter befindet sich auch der TV-Talkmaster Günter Jauch als weiß geschminkter Pierrot.

Hinter der nächsten Tür bewegt sich wiederum eine motorisierte Verpackungskiste namens „Alleinerziehender“ langsam durch den Raum, die den Aufdruck „Tobias Rehberger“ trägt. Sie leitet über zum Wintergarten, der mit 66 herumstehenden Aschenbechern aus Pappmaché nun als Raucherzimmer gilt. Von hier aus geht’s weiter in die drei zum Garten gelegenen Räume. Der erste hängt voller Origami-Lampen, eine weiße und eine farbige Gruppe, die von den Bildern des minimalistischen Malers Olle Bærtling inspiriert sind.

Der Gartensaal birgt das eigens für die Ausstellung konzipierte Hauptwerk. Es entstand in Zusammenarbeit mit den ältesten Organismen der Welt, die beim Verdauen von Cellulose eine Art organisches Pappmaché produzieren. Die drei farbig gefassten Termitenhügel, ein Produkt dieses Verdauungsprozesses, treiben die Frage nach der Autorschaft auf die Spitze: Wer schuf letztlich diese Werke, die informellen Skulpturen der Nachkriegsmoderne erstaunlich ähneln?

[Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 17.11.; Di bis So 11  –  18 Uhr]

Rehbergers Wertschätzung für Kollaborationen zeigt sich auch im nächsten Raum, der zehn Geschenke für befreundete Künstlerkollegen in aufwändigen Verpackungen präsentiert. Den beschenkten Künstlern der Erstauflage war es freigestellt, die Rehberger-Verpackung zu zerstören, um an ihr Geschenk zu gelangen, oder sie als eigenes Kunstwerk zu bewahren, ohne je das Geheimnis seines Inhalts gelüftet zu haben.

Inspirationen von Stanley Kubrick

Im Obergeschoss gibt das titelgebende Blatt „Inspiration is a little town in China – in Papier“ neue Rätsel auf. In Verbindung mit zwei Serien geradezu klassischer Aquarelle meint man chinesische Auftragskünstler am Werk zu sehen. Ein schmaler Durchgangsraum mit einem Kampfhund aus Pappmaché sorgt für einen Schreckmoment.

Dann geht es auch schon in den nächsten Raum mit Tausenden Schreibmaschinenseiten. In unterschiedlichem Layout wiederholt sich darauf der immer selbe Satz aus Stanley Kubricks Horrorfilm „Shining“, der zum Synonym für die Panik des Künstlers vor Einfallslosigkeit geworden ist: „All work and no play makes Jack a dull boy.“

Einen Ausweg bietet möglicherweise der nächste Raum, wo ein Jugendlicher Joints dreht und am Boden stapelt, wo sie Imagination und Inspiration verheißen. Wo die Grenze zwischen Einbildung und Einfall, Werk und Betrachter verläuft, können die Besucher schließlich am eigenen Leibe erproben, wenn sie die im letzten Raum hängenden Masken aus Pappmaché über den Kopf ziehen.

Dass der Schlauberger Tobias Rehberger mit seinem Ausstellungstitel die Inspiration an einen möglichst entlegenen Ort – „ein kleine Stadt in China“ - verlegt, ist sicher kein Zufall. Es könnte jener Ort sein, wo vor 2000 Jahren die Papierherstellung erfunden wurde und heute vielleicht die besten Kopien hergestellt werden. So ist das Papier zwar der Ort der Inspiration, die jedoch nie vor Imitation geschützt ist.

Dorothea Zwirner

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