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© Korner/DLA Marbach

Ausstellung: Der Club der toten Köpfe

„Das geheime Deutschland“: Das Marbacher Literaturmuseum zeigt Porträtskulpturen aus dem Kreis um Stefan George.

Die Renaissance des Stefan George ist kaum zu übersehen. Thomas Karlaufs im letzten Herbst erschienene voluminöse Biografie mag einer der Gründe dafür sein; aber auch das neue Interesse an Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dem Hitler-Attentäter, der als junger Mann dem „geheimen Deutschland“, dem elitären Zirkel um den Dichter, angehört hatte. Der bekennende George-Fan Ulrich Raulff, Direktor des Marbacher Literaturmuseums der Moderne und des Literaturarchivs, das zahlreiche Hinterlassenschaften des Kreises in seinen Kellern hortet, hat aus den Beständen jetzt eine Ausstellung mit Porträtskulpturen aus dem George-Kreis zusammengestellt – pünktlich zum 140. Geburtstag und zum 75. Todestag des Meisters (1868–1933).

Der Ausstellungstitel „Das geheime Deutschland – Eine Ausgrabung“ enthält einen ironischen Unterton. Denn was da gezeigt wird, nämlich 191 Porträtskulpturen von George und Mitgliedern seines Kreises, kann keinen Anspruch auf hohen künstlerischen Wert erheben. Die Dichter- und Gelehrtenköpfe aus Gips, Stein oder Holz, die Georges Universalerbe Robert Boehringer zusammen mit Büchern, Manuskripten und Fotografien dem Archiv vermacht hatte, wurden deshalb auch lange in den Depots versteckt. Doch jetzt hat man sie aus ihrem Versteck hervorgeholt und präsentiert sie, ergänzt um etwa 40 Leihgaben, auf einem fünf Meter breiten und 25 Meter langen Tisch, der den Besucher wie ein Gräberfeld mit lauter Totenschädeln empfängt.

Worin liegt die Peinlichkeit dieser Köpfe, von denen gut die Hälfte immer wieder den Meister selbst darstellt, während die übrigen die Häupter seiner Schüler und Lieblinge verewigen, darunter die Literaturwissenschaftler Ernst Bertram und Friedrich Gundolf, die Historiker Ernst Kantorowicz und Percy Gothein und die Brüder Alexander, Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg? Zunächst in der künstlerischen Qualität, denn die drei George-Jünger, von denen ein Großteil der gezeigten Skulpturen stammt – Alexander Zschokke, Ludwig Thormaehlen und Frank Mehnert – waren Autodidakten. Wie passen ihre „mediokren Plastiken“ (Raulff) zu den hohen Ansprüchen, die der George-Kreis in seinen literarischen Hervorbringungen stellte? Man muss schon Raulffs Essay „Steinerne Gäste“ im begleitenden „Marbacher Magazin“ nachlesen, um hier mehr Klarheit zu gewinnen. Raulff weist darauf hin, dass es Georges auf die Jahre 1910 und 1911 zu datierende Platon-Lektüre war, die seine Vorstellung von einem „ästhetischen Staat“ bestimmte, zu dessen Keimzelle er das „geheime Deutschland“ seines Kreises heranbilden wollte. Der Dichter verstand sich gewissermaßen selbst als Bildhauer, der nicht nur mit Hammer und Meißel seine Verse schmiedete, sondern mit seiner Kunst zur Menschenbildung beitragen wollte. „Die Köpfe aus Gips und Holz und Stein waren samt und sonders Gleichnisse für das, worin eigentlich die Aufgabe oder das ,Amt‘ des Dichters lag: Bildung neuer Menschen, Schaffung eines Volkes, Formung seines Staates“, schreibt Raulff.

In diesem ästhetischen Staat und seiner Elite von schönen, heroischen und für das Geistige aufgeschlossenen jungen Männern müssen alle individuellen Züge getilgt sein, denn es war ja gerade die individualistische Dekadenz der Moderne, die der George-Kreis überwinden wollte zugunsten der Klassizität eines neuen Griechentums. Während zeitgenössische Bildhauer wie Rodin oder Lembruck die gebrochene Individualität des modernen Menschen darzustellen versuchten, wirken die in Marbach gezeigten Köpfe wie die Erzeugnisse einer Serienproduktion. Sie gleichen eher der Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers als den Porträts von modernen Intellektuellen. Der George-Kreis stand mit seinem kulturkritischen Kampf gegen die Formlosigkeit einer postheroischen Moderne freilich nicht allein da, sondern teilte viele seiner Ziele mit der deutschen Jugendbewegung, wo Führerfiguren wie Gustav Wyneken oder Hans Blüher ähnliche Gruppenbildungen auf homoerotischer Basis betrieben, die alle den neuen Menschen hervorbringen sollten. Es überrascht daher nicht, dass zwei von Georges Bildhauern, nämlich Thormaehlen und Mehnert, auch im „Dritten Reich“ mit heroischen Großplastiken Karriere zu machen versuchten.

Verteidiger Georges führen immer wieder ins Feld, er habe gegen den christlichen Puritanismus den Leib wieder in seine legitimen Rechte einsetzen wollen. Wenn das nur wahr wäre! Die Marbacher Ausstellung jedenfalls zeigt nur Köpfe ohne Unterleib, Dokumente einer gleichsam kastrierten Erotik. Raulff merkt dazu zwar richtig an, „über eine Diktatur des Designs“ sei der ästhetische Traum vom neuen Menschen im „neuen Reich“ des Dichters nicht hinausgekommen, plädiert dann aber doch dafür, sich ganz wertfrei diesem Club der toten Köpfe zu stellen. Er will sogar Anzeichen von Surrealismus darin erkennen. Dem kann man nur entgegenhalten, dass in Georges besten Versen gelingt, was diese Skulpturen vergeblich anstreben: den Augenblick der erotischen Begegnung mit der männlichen Schönheit festzuhalten.

Bis 31. August 2008. Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Das zugehörige Marbacher Magazin Nr. 121 hat 124 Seiten und kostet 14 Euro.

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