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Ausstellungen: Die haben einen Knall

Dynamit-Therapie: Die Kreuzberger NGBK zeigt „Sprengarbeiten“. Ein Ortstermin mit einer Pyrotechnikerin

Der jugoslawische Pass, Dokument eines Landes, das es nicht mehr gibt. Etwas Schwarzpulver draufgerieselt, angezündet, fertig. Pralle Erinnerung an zwei schöne Jahre: die Festplatte, auf der die Korrespondenz mit einer früheren Freundin gespeichert ist. Etwas Plastiksprengstoff besorgt den Rest. Auch die Mappe samt Anschreiben, Lebenslauf und Fotos darf mit großem Knall zerfetzt werden. „Kreativität, Flexibilität und Belastbarkeit sind für mich keine Schlagwörter, sondern Realität“, heißt es in der abgelehnten Bewerbung als Friseurin. Unverschämtheit, dass die Dinge beständig sind, während das Leben so rasant fortschreitet!

Kühler Wind weht über die Lichtung und lässt den Zünder zittern. Aoife van Linden Tol hat den Metallzylinder über eine Fotografie gehängt. Sie fixiert ihn mit Klebeband. Die in London lebende irischstämmige Künstlerin ist Spezialistin für pyrotechnische Vergangenheitsbewältigung. Auch für Voodoo, Geisteraustreibung, symbolische Geschichtsschreibung. Berliner haben ihr Dokumente, Fotos, Bücher geschickt, die sie durch kontrollierte Explosionen in den Kunststatus befördert. Sie kümmert sich um Dinge, deren unbeschadete Weiterexistenz eine Demütigung darstellt. Dinge, die man so nicht stehen lassen kann.

Dafür ist Aoife van Linden Tol nach Horstwalde gefahren, ein paar Kilometer südlich von Berlin, zur Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, treffend abgekürzt: BAM. Die 29-Jährige hat gemeinsam mit einem „Sprengstoffbefähigten“ Probesprengungen durchgeführt. Es gilt nun, ein eingereichtes Hochzeitsfoto aus den dreißiger Jahren zu behandeln. Die Schwierigkeit: Nur der Bräutigam soll durch den Eingriff betroffen sein. Er starb tatsächlich wenige Wochen nach der Hochzeit an den Folgen einer Explosion.

Christoph Tempel hat das Foto der Künstlerin überlassen; das Brautpaar darauf sind seine Großeltern. Tempel gehört zur sechsköpfigen Arbeitsgemeinschaft, die im Kreuzberger Kunstverein Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) die Gruppenausstellung „Achtung Sprengarbeiten!“ vorbereitet hat. Die videolastige Schau umkreise „das Phänomen Sprengung und seine gesellschaftlichen Implikationen von Macht und Ohnmacht“. Tempel ist Architekturkritiker. Das spiele jedoch bei den „Sprengarbeiten“ kaum eine Rolle, auch wenn man einiges in die Luft fliegen sieht: Häuser, Rucksäcke, Blumenkübel, auch Gasometer, wie es der Berliner Fotograf Eberhard Klöppel in den Achtzigern dokumentiert .

Trotzdem geht es nicht nur um Zerstörung. Das Thema gibt mehr her: Sprengung als Spektakel, Intervention, Dekonstruktion und Gefahr. Die Lust am Krawall wird indes selbst unter der Überschrift „Spektakel“, unter der auch Aoife van Linden Tols bearbeitete Erinnerungsstücke zu sehen sind, kaum bedient. Die Detonationen verweisen hier auf etwas anderes: auf gesellschaftliche Zustände, auf Machtpolitik, auf Täuschung und Enttäuschung. Rosemarie Trockel zeigt in ihrer Videoarbeit „Blick von der anderen Seite“ einen Bungalow. Doch minutenlang passiert nichts. Dann die Explosion – und nun erst erkennt man, dass hier ein Modell und kein echtes Haus gesprengt wurde.

Darin gleichen Bomben der Kunst: Durch Interventionen machen sie Wirklichkeiten sichtbar, markieren Unterschiede, in einer plötzlichen „Explosion der Erscheinung“, wie Adorno die Wirkung von Kunst beschrieb. Schon die Bedrohung durch Terror macht den Staat wieder präsenter, lässt die Konturen von Gesetz, Recht und Verfassung, der Freiheit schärfer hervortreten. So schwingen in den Dynamitaden des NGBK die aktuellen Diskussionen über Sicherheit, Protest und Terror mit. Die Problemlagen werden hier aber anders geschichtet. Peter Kees lässt für seine Installation „100 % sicher“ Gepäckstücke sprengen. Wenn nur das Zerstörte hundertprozentig sicher ist, wozu ist Sicherheit dann noch gut? Mathilde ter Heijne fragt nach Selbstermächtigungen, indem sie sich als Selbstmordattentäterin inszeniert. William Kentridge sucht in seiner Animation Auswege aus den Gewaltspiralen.

Für Aoife van Linden Tol sind Explosionen lediglich Stationen, Verfahrensweisen, Techniken auf dem Weg zum eigentlichen Ergebnis. Am Ende ihres Kunststudiums interessierte sie sich für Land Art. „Eigentlich wollte ich dann selbst mit dem Bomber fliegen und Landschaft gestalten. Das war aber zu ambitioniert“, scherzt die Irin. Also lernte sie demütig den Umgang mit Explosionsstoff in einer privaten Sprengschule, bearbeitete dann in ersten Schritten Wachs, Ton, Plastik, Metall und immer wieder Fotografien. Am meisten fasziniere sie die emotionale Kraft, nicht die des big bang, sondern dessen, was nach so einer Sprengung übrig bleibt.

Aoife van Linden Tol legt einen „kleinen Geist“, wie sie sagt, auf die vergilbte Fotografie: eine grobe Pappschablone, die die Braut überdeckt. Sie vor der Explosion schützt. Über dem Großvater schwebt das Damoklesschwert der Moderne, der Zünder, dieses „hochenergetische Initial“, wie der Sprengexperte erklärt. Der Großvater, das war Doktor Wahmke, der für Hitler an der V-2-Rakete bastelte. Der Ingenieur hat seinen kleinen Platz in der verheerenden Geschichte der Sprengstoffe, die seit 1866, dem Jahr der Erfindung des Dynamits durch Alfred Nobel, die Welt radikal veränderte. Thomas Pynchon schreibt in „Die Enden der Parabel“, seinem Roman über die Nazi-Wunderwaffe: „Dr. Wahmke beschloss, Wasserstoffsuperoxyd und Spiritus schon vor der Einspritzung in die Brennkammer zu mischen, um zu sehen, was passieren würde. Die Zündflamme schlug durch die Speiseleitung in den Mischtank zurück... Erstes Blut, erste Opfer.“

Der Sprengmeister ruft Aoife van Linden Tol in den Schutzcontainer. Er drückt den Knopf und der Knall hallt zwischen den Bäumen wieder. Die Künstlerin läuft über das Feld und hebt die Fotografie auf, die einen Meter weggeflogen ist. Van Linden Tol strahlt: Die kleine Detonation des elektrischen Zünders hat einen Krater in das dicke Fotopapier gerissen, die Splitter seines Gehäuses sprenkelten eine kleine Milchstraße über das Bild.

Die Braut blieb unbeschädigt.

„Achtung Sprengarbeiten!" bis 2. Dezember in der NGBK, Oranienstraße 25, Kreuzberg. Katalog: 14 €.

Daniel Völzke

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