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Isa Genzken: Die Säulenheilige

"Wind" ist der Titel der Berliner Doppelausstellung in den Galerien Daniel Buchholz und Neugerriemschneider, in der Isa Genzken ihre jüngsten Werke zeigt.

Aufgeklebte Plakate, abgefetzte Klebestreifen, darüber Graffiti: Isa Genzkens Wandarbeit „New York Post Office“ wirkt auf den ersten Blick wie eine etwas abgerockte Fassade. Als hätte die Künstlerin den Ausschnitt einer beklebten Großstadtwand direkt in die Galerie transformiert. Doch was hier so zufällig und leicht wirkt, ist fein komponiert und voller kunsthistorischer Anspielungen. Eines der Plakate zeigt Manets „Frühstück im Freien“, ein anderes wirbt für eine Ausstellung mit Werken von Rogier van der Weyden, dann ein Rubensposter und ein Foto der Künstlerin selbst. Daneben ein Zeitungsausschnitt mit der Titelzeile „1,2 Milliarden Menschen hungern“.

„Wind“ ist der Titel der Berliner Doppelausstellung in den Galerien Daniel Buchholz und Neugerriemschneider, in der Isa Genzken ihre jüngsten Werke zeigt: Wandarbeiten aus übereinandergeschichteten Folien und Plexiglasscheiben, Kalenderblättern und Michael Jackson-Bildern sowie eine Reihe von Säulen (Preise auf Anfrage). Bei aller Freiheit und Materialvielfalt sind es klassische Bildhauerthemen, die die 1948 geborene Künstlerin seit ihren Anfängen in den Siebzigern umtreiben – Raum, Material, Farbe, Bewegung, Licht, Spiegelung und Auflösung. Es scheint, als durchkämme die Künstlerin ihre Umgebung und filtere aus der ungeheuren Bilder- und Informationsflut Themen, die sie in ihr eigenes Vokabular einbindet, hinterfragt und immer wieder neu erfindet. So erweiterte die in Berlin lebende Künstlerin ihr Werk im Laufe der Jahrzehnte über ellipsoide Skulpturen und architektonische Gips- und Betonarbeiten bis hin zu materialreichen Installationen, die trashig und opulent, kraftvoll und fragil zugleich wirken. Vor zwei Jahren umspannte sie den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig mit Baustellennetzen und brach im Innern mit Spiegeln und Installationen die faschistische Architektur komplett auf. In diesem Jahr richtete sie in der Londoner Whitechapel Gallery in London eine Retrospektive ein, die anschließend im Kölner Kunstmuseum Ludwig zu sehen war.

Wie in „New York Post Office“ finden sich in Isa Genzkens Werken Reflexionen auf konkrete Architektur, gleichzeitig entspinnen sich Assoziationsketten, die sich, wie bei allen guten Künstlern, nie völlig entwirren, nie komplett in Sprache umwandeln lassen. Skulpturen werden bei Genzken zu semipermeablen Membranen, zwischen Raum und Objekt. Die vier Säulen im Zentrum der Galerieräume von Daniel Buchholz sind teils mit drapierten Stoffen, teils mit Kunststofffolie umhüllt, die zum Abdunkeln von Autofenstern verwendet wird und die eine Verbindung zu Genzkens früherer aus Röntgenbildern bestehender Serie „X-Rays“ zieht. Wie vier Ritter von trauriger Gestalt stehen die Säulen leicht versetzt im Raum, als wären sie mitten in einer Bewegung eingefroren. Ein Plüschfrosch thront auf der ersten, eine Comicfigur auf der nächsten, an den anderen hängen CDs und Plakate von Michael Jackson, dem Protagonisten dieser Ausstellung. Die Säulen vereinen eine sehr präzise Komposition, wenn sich etwa Jacksons Beine in der Struktur der Säule fortzusetzen scheinen. Gleichzeitig werden die Plakate und locker geknoteten Stoffe von einfachen Metallklammern gehalten, als wäre die Skulptur im Vorübergehen entstanden. Versteckte Details wie eine Postkarte von Matthias Grünewald mit einer Mariendarstellung setzen den Faltenwurf der kostbaren Stoffe fort, hier blitzt ein Kätzchen hervor, dort ein Hündchen. Auf eine Säule ist neben Michael Jackson der Schriftzug „Isa“ gesprüht.

Die Künstlerin, selbst eine Grenzgängerin, muss eine ungeheure Nähe zu diesem fragilen Musiker spüren, zu seiner Musik und seinem Tanz, aber auch zu dem Zwang, sich selbst zu erfinden und neu zu erschaffen. Zu dem Gefühl, ausgeliefert zu sein, sich abgrenzen und schützen zu müssen als Teil des künstlerischen Prozesses und des Erfolgs. Auch mehrere der nach dem Tod des Musikers entstandenen Wandarbeiten zeigen den King of Pop. Man sieht ihn 1989 während einer Fotosession von Annie Leibovitz. Bei der mit goldener und bronzefarbener Farbe übersprühten Wandarbeit „Wind II“ hat Genzken direkt unter Jackson ein Foto von Stephan Lochners Kölner Dombild von 1445 gehängt und „Stars in Lebensgefahr“ darunter notiert. Jackson, der auf Zehenspitzen tanzt, wirkt wie einer der schwarzen Engel, die über der gekrönten Maria mit dem Jesuskind flattern.

Die Arbeit gegenüber zeigt Michelangelos idealisierten „David“, der offenbar auch Jacksons Idealbild entsprach, daneben spiegelt sich der Betrachter, hundertfach fragmentiert, in der Disco-Kugel-Spiegelfolie wider. Der Musiker hat sich bei Konzerten und in seinen Musikvideos gern als Fels im Sturm inszeniert, als Held mit wehendem Haar und war am Ende doch vor allem ein rätselhaftes Zwischenwesen. Wie weit Genzkens Identifikation mit Michael Jackson geht, vermittelt auch die Einladungskarte zur Ausstellung. Sie zeigt den zur Kunstfigur umoperierten Sänger, der im Glitzerjäckchen ans Mikrophon tritt, die Hand zum Luftkuss an den Mund geführt, was gleichzeitig ein wenig erschrocken wirkt. Unter dem Foto eine Signatur: „Isa Genzken, 2009“. Und mit einem Mal hat man den Soundtrack zur Ausstellung im Ohr: „She’s like the wind.“

Galerie Daniel Buchholz, Fasanenstr. 30; bis 30. Januar, Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr / Galerie Neugerriemschneider, Linienstr. 155, bis 9. Januar, Di–Sa 11–18 Uhr.

Katrin Wittneven

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