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Ausstellung "Six Feet Under"

© Fotomuseum Winterthur

Kunst und Tod: Nachtleben, Nachbeben

"Six Feet Under" in Dresden: Eine Ausstellung untersucht, wie die Kunst mit Toten umgeht. Das kann ironisch-amüsant sein, wie ein Ikea-Sarg zum Selberbauen, aber auch ganz schön aufs Gemüt schlagen, wie Kunstfilme aus dem Leichenschauhaus.

Juana Martin spielt. Bis zu diesem Tag hat Kubas Domino-Meisterin keine Partie verloren. Beim Wettkampf am 12. März 1925 umklammert sie den Dominostein „2 X 3“ und bricht zusammen. Sie hatte Leberkrebs, aber gestorben sei sie, weil das Spiel nicht zu gewinnen war: sagen ihre Verehrer. Ihr Marmorgrabmal mit den Palmzweigen des Sieges hat ein faszinierter Künstler gestaltet. Die Kunst, so erfahren wir im Dresdner Hygiene-Museum, ist eine Travestie vom Sterben, ein Spiel gegen den Hades, das Lied vom Tod.

Künstler sind Schauspieler. Sie inszenieren Tode. Künstler erhängen sich, vor laufender Kamera, so dass der Zuschauer die Rücklauftaste bedienen, das Endgültige jederzeit revidieren kann. Sie verewigen sich für einen Fotoaltar in der narzisstischen Pose des Überdosis-Opfers. Sie lassen eine Grube nach ihrem Körpermaß ausheben und zuschaufeln und stehen dabei (Claes Oldenburg, 1967). Sie verschwinden im Lauf einer Fotomontage, als versackendes Monument der Vergänglichkeit, im Erdreich ihrer Grabstelle. Sie legen sich selbst als täuschend ähnliche Wachsfigur mit roten Paillettenschuhen, silbernem Seidenkleid, Perlenkette in einen Schneewittchensarg (Christiana Glidden, 1998). Sie meißeln ihren eigenen Grabstein (Jonathan Monk, 2005). Sie realisieren ihre eigene Beerdigung: setzen die eigene Todesanzeige in die Zeitung, lassen sich von einer Trauergemeinde unter Blasmusik und Kerzenschein im offenen Sarg zum Friedhof tragen, verlieren aber – das hat die Kamera nicht mehr dokumentiert – im letzten Moment die Performance- Nerven, flüchten vor der erbosten Menge (Gianni Motti, 1989). Menschen sind Scheintote und Todeskandidaten. Sie träumen davon, im Tanz mit dem Tod die Führung zu übernehmen.

In Niklaus Manuels spätmittelalterlichem „Totentanz“, den das Kunstmuseum Bern seiner an die Elbe gereisten Ausstellung „Six Feet Under“ in Kopien beifügt, tanzt der Tod mit dem Maler. Allerdings stehen im Focus der Unternehmung weniger die klassische Ansichten des Sensenmanns: als Richter, Vernichter oder Freund. Es geht eher um „Autopsie unseres Umgangs mit den Toten“. Den tiefschürfenden Anspruch löst die Präsentation so wenig ein, wie sie dem Versprechen ihres Titels gerecht wird: „Six Feet Under“, die vom „American Beauty“-Regisseur Alan Ball produzierte TV-Serie, das bislang beste Fernsehepos unseres Planeten, handelt – auf dem Hintergrund der Betriebsabläufe in einem familiären kalifornischen Bestattungsunternehmen – vom Leben, von der Liebe. Dass diese Generationensaga hierzulande durch ihren Alltagsumgang mit Toten weder ein großes memento mori ausgelöst noch den verdienten Kultstatus oder nur die Aufmerksamkeit des Leichenfledderers von Hagens’ erlangt hat, ist bei der Wahl dieses Titels dem Marketing-Kalkül entgangen.

Unsicherheit zwischen Trend und Tabu signalisiert auch die im Katalog eingesetzte neckische Frakturschrift. Ob der Tod nun als News-Stammgast omnipräsent ist und gleichwohl verdrängt wird, ob Wissenschaftler ihn zunehmend mikroskopieren, wie Museumsdirektor Klaus Vogel das Gastspiel aus Bern aktuell begründet: „Six Feet Under. Die Ausstellung“ benutzt ein existenzielles Thema als ziemlich beliebigen Materialsteinbruch – um interessante Objekte, ein paar ethnologische Fundsachen, vor allem zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Die gesellschaftliche Gratwanderung zwischen Todesfantasien und Juvenilitätsanbetung wird nicht fixiert. Wer allerdings Ekel und Grusel eines Panoptikums sucht, kommt hier nur punktuell auf seine Kosten. Wo es allenthalben um den Tod geht, neutralisieren sich die Darstellungen. Der Rundgang hinterlässt zunächst Kühle und Distanz.

Tod anonymisiert: Beim Eintritt stehen wir unter Grabsteinen von Leuten, die „Niemand“ heißen oder „Personne“, was auf Französisch dasselbe bedeutet. Tod individualisiert. Ein Schädel mit Bananen in den Augenhöhlen entzückt. Der grüblerische „Anatom“ des Gabriel von Max (1840–1915) stiftet Nachdenklichkeit. Fotos von Ertrunkenen, Zerhackten, Verbrannten irritieren. Man zeigt nature morte: arrangierte Gliedmaßen. Außerdem Körpersäfte und Gase, emittiert nach dem Exitus. Ein Taschenrechner erreicht in 90 Rechenschritten die Zahl der Genozid-Opfer von Ruanda. Japanische Models posieren in Comme-des-Garçons-Klamotten als schöne Leichen. Über chromlegierten Schädelanimationen steht das Lifestyle-Pop-Motto „Erst unsterblich werden, dann sterben“. Gavin Turk hat den „Death of Che“ nachgebildet und der Commandante-Skulptur auf der Bahre eigene Züge verliehen; ein Selbstbehauptungstänzchen mit dem Promi-Tod. In Ghana entwickelte Ataa Oko Addo dreihundert bunte Sarg-Modelle: Mütter treten im Hennensarg die letzte Reise an, Häuptlinge im prächtigen Chief-Sandaletten-Sarg. So verhilft man den Scheidenden zum großen Auftritt im Kreis mächtiger Ahnen und sichert sich ihr Wohlwollen. Das industrielle Gegenstück legt Joe Scanlan vor: „Do it yourself Dead on Arrival“ heißt sein Ikea- Sarg aus Billy-Brettern, mit Bauanleitung.

Von den zahlreichen Assoziationsfeldern, die der Tod mit seinen Toten – über Zeit, Vergänglichkeit, Schmerz und Trennung hinaus – inspiriert, berührt diese Ausstellung am deutlichsten den Bereich Erinnerung. Eine Soundinstallation, angekündigt per Dingdong, durchdringt mit den Stimmen des Aufsichtspersonals die Museumsräume: Mexikanerinnen, Opfer von Gewaltverbrechen, werden als vermisst gemeldet. Eine kubanische Künstlerin lässt sich in ihrer Film-Performance bis aufs Gesicht nackt eingegraben, an verfallenen präkolumbianischen Grabplätzen. Sie bewegt sich, Steine rollen beiseite, der Körper drängt ans Licht. Dass säkularisierte Gesellschaften eine Präsenz ihrer Verstorbenen wieder erkennen und akzeptieren möchten, ist aufgrund solcher Werke kaum zu behaupten. Gleichwohl animieren sie jene Erinnerungskultur, die politische Aspekte des Totenreichs archäologisch untersucht.

Eindrucksvolle Stücke der Präsentation versammelt die finale Sektion „Nachleben“: Eine Thailänderin lässt sich bei „Seminaren“ in der Anatomie filmen, das sind Lektionen für Leichen. Die liegen rundum abgedeckt in Metallwannen, zu sehen sind Füße, Stirn und Haaransatz.

Auf den Boden projizierte Filmbilder zeigen unter viel Gemüse jenen ungekochten Reis, der dem toten Hindu am 13. Tag, wenn seine Seele die Reise zu Gott antritt, in den Mund gestopft wird: so wie der Reis die erste Speise des Kindes war, später das Material fürs Zeichnen und der festliche Bodenbelag am Hochzeitsabend.

Ein Amerikaner hat seinem toten Freund ein Denkmal gesetzt, einen Haufen bunter Bonbons, die so viel wiegen wie der Geliebte, 79,4 Kilo; nun dürfen Besucher die Zuckerstücke mitnehmen und lutschen, den solcherart Konsumierten und Kommunizierten in sich fortleben lassen – aber wer traut sich zuzugreifen?

Ein Schweizer hat aus dem Zug im Tunnel das Licht am Ende gefilmt: Wir sehen in der schwarzen Fläche einen hellen hüpfenden Punkt, der größer wird, für Sekunden Mauern erkennen lässt und dann die Wand mit gleißendem Licht überflutet.

Nachtleben. Nachbeben. Hier führt uns „Six Feet Under“ vor, dass Unendlichkeit und Endlichkeit gleichermaßen unvorstellbar bleiben. Im Übergang versöhnen sich die Widersprüche des Spiels: Verlieren und Gewinnen sind voneinander nicht zu trennen.

„Six Feet Under. Autopsie unseres Umgangs mit den Toten“: Hygiene-Museum Dresden, bis 30. März 2008

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