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© ZKM

Retrospektive: Mach Schluss mit dir selbst

Vater der Subversion: Das ZKM in Karlsruhe widmet dem Amerikaner Paul Thek eine Retrospektive.

Am liebsten möchte man sich mit auf die die Stufen von Paul Theks Pyramide aus Sperrholz und Papier setzen, die er 1971 für das Moderna Museet in Stockholm gebaut hat. Er sitzt dort mit Ann Wilson aus seiner Co-op. Ein magischer Ort ist entstanden inmitten der profanen Welt. Mit solchen Tempel-Adaptionen ist Thek in den sechziger und siebziger Jahren international bekannt geworden. Die Pyramide zeigte er in abgewandelter Form auf der d5 von Harald Szeemann 1972 in Kassel, wo sie unter dem Schlagwort „Individuelle Mythologien“ in die Kunstgeschichte einging.

Doch so individuell war diese Künstler-Arche nicht. Sie bot all jenen Zuflucht, die Kunst als spirituellen Raum begriffen, und sie tut es noch – wenn auch nur im Geiste. Die Besucher stehen vor einem grobkörnigen Großfoto, von denen es viele gibt in der bislang größten Paul-Thek-Retrospektive im Zentrum für Kunst und Medientechnolgie (ZKM) in Karlsruhe. Nicht, dass es an Originalen fehlen würde. Rund 300 Exponate wurden zusammengetragen, Skizzenbücher lassen sich elektronisch durchblättern, jede Menge Leinwände, sogar Bronzeplastiken und ein paar kleinere Environments geben einen Eindruck von der ausufernden Produktion Theks. Dazu begnügte sich der Initiator, der Hamburger Sammler Harald Falckenberg, nicht mit einer monographischen Werkschau. Sie ist eingebettet in zum Teil raumgreifende Installationen eines illustren Kreises von Künstlern, die sich zu Thek bekennen: etwa Mike Kelley, Franz Ackermann, Gregor Schneider, Thomas Hirschhorn und Jonathan Meese.

Wozu das alles? Um dem 1988 an Aids gestobenen Künstler posthum Ehre angedeihen zu lassen? Um sein kompromissloses Werk als Leuchtturm für orientierungslose Kunststudenten aufzurichten? Dem entleerten Kunstbetrieb neuen Geist einzuhauchen? „Ein Statement wie Theks ,Get over yourself’ war und ist für junge Künstler zu Beginn der neunziger Jahre ein Motto, das heute, 15 Jahre später schon fast wieder exotisch wirkt, wo das Betriebssystem die Arbeit im Studio völlig aufgefressen hat“, erklärt Axel Heil, selbst Künstler, Professor in Karlsruhe und Thek-Fan die subversive Wirkung des Künstler-Künstlers. Nachdem Mike Kelley zu Beginn der neunziger Jahre einen Aufsatz über den mehrfachen documenta-Teilnehmer veröffentlicht hat, gehörte die Legende Thek zum Palaver am „campfire“ der Studios. Da war es tatsächlich einem Künstler in den sechziger Jahren gelungen, das Zeitkorsett der Institutionen zu brechen und die Ausstellungsräume als Atelier zu übernehmen - ganz abgesehen von seiner totalen, wilden Stillosigkeit.

Nun sitzen wir alle mit am „campfire“. In Zeitlupe tanzt ein Langhaariger in Parka und Jeans zu „Mr. Bojangles“, dem Song über die freien, aber armen Outcasts dieser Welt. Oftmals fesseln in Karlsruhe die dokumentarischen Fotos und Filme aus den sechziger Jahren mehr als die Arbeiten der Thek-Nachfolge neueren Datums, ja sogar mehr als manche der eher späten Leinwände des heroischen Außenseiters selbst. Eine Ausnahme bildet Gregor Schneiders Nachbau einer Isolationszelle von Guantanamo. Sie sieht eben nicht aus wie eine Kopie der mystisch aufgeladenen Environments von Paul Thek und seiner Co-op, versinnbildlicht aber genauso die Isolation des Künstlers wie Theks berühmtestes Werk, „The Tomb“ aus dem Jahre 1967. Die betretbare, stilisierte Zikkurat war eine Art Mausoleum, in dem ein bis ins Detail ausgeführter Abguss seines bekleideten Körpers aus Wachs wie tot auf dem Boden lag. Was immer den damals 34-jährigen Amerikaner dazu brachte – unmissverständlich sprechen Selbstzweifel, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit aus dieser Arbeit.

Gerne hätte man mehr erfahren über den damaligen Kontext des Werks von Thek, seine Freundschaft zu Eva Hesse und Susan Sontag, über jene Zeit als das Pop-Environment und das Happening in New York Konjunktur hatten. Denn die „Meat-Pieces“ des deutschstämmigen New Yorkers sind von einem romantischen Tiefgang, der in den USA nur bedingt Anklang fand. Die Serie von 1966, auch „Technological Reliquaries“ genannt, menschliche Fleischfragmente, nachgebildet aus Wachs und präsentiert in transparenten Plexiglas-Zylindern spielen auf den Tod im scheinbar Lebendigen an, auf die „Zahlen und Figuren“, die die Oberhand gewonnen und das nackte Leben auf die hinteren Plätze verwiesen haben. Romantisch ist auch der universell-religiöse Charakter vieler Enviroments, den der katholisch geprägte Künstler immer wieder in Anlehnung an fremde Kulturen suchte.

„Heute geht es darum, dass wir unsere Sinne wiedererlangen. Wir müssen lernen mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen“, schrieb Susan Sontag 1964 in ihrem Paul Thek gewidmeten Aufsatz „Against Interpretation“mit dem berühmten Schlusssatz: „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.“ Sie empfiehlt den Kunstkritikern und Museumsleuten ein beschreibendes, kein vorschreibendes Vokabular. Doch gilt vielleicht gerade für Thek heute das Gegenteil. Wenn sein Werk nicht gedeutet wird, bleibt es nebulös.

Was tut der Künstler, wenn er keine Dinge herstellt? Die Befragung des eigenen Tuns gehört seit den sechziger Jahren zu den zentralen Themen der zeitgenössischen Kunst. Bruce Nauman und Bas Jan Ader haben wie Thek die Position des Künstlers demonstrativ hinterfragt. Nauman hielt sich zu Beginn seiner Karriere in seinem leeren Atelier auf und wusste nicht, was er tun sollte. Aus dieser Situation entstanden seine ersten Videofilme. In diesen Kontext gehörte auch „Selfportrait as a Fountain“ (1966/67), eine Fotografie, die den Künstler beim Ausspeien von Wasser zeigt. Der Künstler erscheint als Skulptur, als sprudelnde Quelle. Das Thema der Videos von Ader dagegen war das Risiko des Scheiterns. So ließ sich Ader in den siebziger Jahren filmen, wie er die Kontrolle über sein Fahrrad verliert und in eine Gracht stürzt. Das ist Pauls Theks Liga – nicht die Spät-Melancholiker Mike Kelley oder Jo Kessler, die in Karlsruhe zum Zuge kommen.

ZKM Karlsruhe, bis 30. März, Katalog 24,80 Euro.

Carmela Thiele

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