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Mode: Süßer Vogel Tugend

Hedi Slimane hat die Männermode revolutioniert. Jetzt zeigt der frühere Dior-Designer in Berlin seine Skulpturen und Fotografien.

Diesmal mussten sie in Paris ohne ihn auskommen. Zehn Jahren hatte Hedi Slimane bei den Modenschauen in der französischen Hauptstadt für Furore gesorgt, war immer aufs Neue als Revolutionär der Männermode gefeiert worden. Seine körperbetonten Schnitte schienen für Männer gemacht, die ohne Hüftknochen auf die Welt gekommen sind, ätherische Wesen jenseits der Geschlechtergrenzen. Doch irgendwas ist schiefgelaufen. Zeitgleich mit den großen Pariser Modenschauen eröffnet er jetzt zwei Kunstausstellungen in Berlin. Eine sentimentale Reverenz an jene Stadt, die ihm am Anfang seiner Karriere so viel bedeutet hat: Von 2000 bis 2002 lebte er auf Einladung der Kunstwerke in der Auguststraße in Mitte, und fand hier nicht nur die Euphorie der ersten Nachwendezeit, sondern auch einen Typus von melancholischen, schmächtigen Berliner Jungs, die nach seiner Berufung zum Chefdesigner von Dior als Models auf den Schauen auftauchten.

Der 1968 in Paris geborene Sohn einer Italienerin und eines Tunesiers kleidet die Dandys des 21. Jahrhunderts. David Bowie wurde im Slimane-Look endgültig zur Stil-Ikone, Brad Pitt und Justin Timberlake sind bekennende Fans des Modeschöpfers, Karl Lagerfeld hungerte sich mager, um die Kreationen seines Konkurrenten tragen zu können. Aber im März 2007 dann eine dürre Pressemeldung: „Christian Dior Couture ernennt mit sofortiger Wirkung Kris van Assche zum künstlerischen Direktor der Linie Homme.“ Ob es nun ein Rauswurf war, oder ob Slimane seinem langjährigen Arbeitgeber aus freien Stücken die Stoffballen vor die Füße warf, wird die Welt wohl nie erfahren. „Ein Gott geht, ein Angestellter kommt“, schrieb die „Zeit“.

Anders als sein Antipode, der Gucci- Retter Tom Ford, der sich nach seiner Trennung von dem Statussymbol-Label gerne für „Vanity Fair“ als Renaissancefürst inszeniert und mit seinem eigenen Shop in New York die neuen Superreichen aus Russland und Asien abzocken will, sucht Hedi Slimane die Innenschau, die Versenkung in die Bildende Kunst. Als „erste von ihm kuratierte Gruppenausstellung“ hatte die Berliner Galerie Arndt & Partner das Projekt „Sweet Bird of Youth“ angekündigt – bei der Vernissage am Wochenende dann allerdings wurde die hauptstädtische Kunstszene davon überrascht, dass fast die Hälfte der Objekte von Slimane selber stammte. Geradezu selbstironisch wirkt der Catwalk aus Silberflitter, den der Konvertit in der Mitte des Hauptraumes ausgerollt hat: Endstation Sehnsucht, um es mit Tennessee Williams zu sagen, dem auch der Ausstellungstitel entlehnt ist. Der Preis dafür von 21 000 Euro ist auf Haute-Couture-Niveau.

Rund um den künstlichen Laufsteg herrscht derweil Modenschauatmosphäre: Meisterhaft nachlässig gekleidete Menschen strahlen ernsthaftes Interesse an der Sache aus, taxieren dabei aus den Augenwinkeln die Outfits der anderen Gäste und können den Auftritt des Meisters kaum abwarten. Hedi Slimane erscheint zweieinhalb Stunden nach Beginn der Vernissage. Er trägt Doc Marten’s, hautenge anthrazitfarbene Jeans, die aussehen, als wären sie an seinen Beinen hochgewachsen, einen kordelartigen Schal zum schwarzen Jackett. Unterm ebenfalls schwarzen Hemd blitzt tatsächlich ein weißes T-Shirt. Der Auftritt vollzieht sich absolut geräuschlos, man tut, als habe man den schmächtigen Mann mit der Jeanne d’Arc-Frisur gar nicht gesehen, selbst die Fotografen und Kameraleute enthalten sich ihres üblichen PromiGebrülls.

Natürlich gab es keine offizielle Pressekonferenz im Vorfeld, Interviewwünsche wurden höflich entgegengenommen und abschlägig beschieden, Lobreden des Galeristen auf Slimane oder auch nur begrüßende Worte bleiben aus. Man mag davon überzeugt sein, dass es in der modernen Mediendemokratie die professionelle Pflicht eines Megastars ist, die Neugier der Öffentlichkeit zu befriedigen, weshalb man den 38-Jährigen für eine Megazicke halten kann. Aber ein Blick in dessen Augen, wässrig blau, rötlich dauergerändert, verrät eine tief verwurzelte Scheu. Unter den Künstlern von Weltrang gibt es wohl nur noch Claudio Abbado, der, bei einem unbestreitbar grundfreundlichem Wesen, eine ähnliche Aura der Unnahbarkeit ausstrahlt.

Leute, die Slimane schon lange kennen wie der Galerist Clemens Tissi schwören, dass er privat absolut zugänglich sei, ein Impressionist, neugierig interessiert an seiner Umwelt, immer voller Ideen. Als Kabinettausstellung zeigt Tissi jetzt in der Potsdamer Straße Slimanes Möbelserie „f-system“ oder genauer das, was von den minimalistischen, in jeweils fünf Exemplaren gefertigten Sitzgelegenheiten noch für Preise zwischen 9000 und 12 000 Euro zu haben ist. „f“ steht dabei für „furniture“ oder auch für „function“, doch mit beidem haben die tiefschwarzen Objekte wenig zu tun. Es sind streng geometrische Skulpturen in Trompel’oeil-Technik, die aussehen, als habe man bei einem Mondrian-Gemälde die Farbflächen herausgeschnitten. Diese Stücke brauchen Platz zur Entfaltung, wollen frei im Raum stehen, denn sie sind exquisit in der Materialwahl und von handwerklicher Perfektion – so, wie es Slimanes Anzüge immer waren.

Dass hier Ebenholz und eloxiertes Metall eine Liaison eingehen, bleibt unsichtbar unter der einheitlichen, samtweichen Farbschicht. Allein mit den Fingern lässt sich ein Temperaturunterschied auf der Oberfläche erfühlen.

Wirklich neu ist das nicht, ebenso wenig wie die Kunst, die Slimane bei Arndt & Partner zeigt: großformatige Fotografien, kaschiert und hinter Glas: aus nächtlichem Schwarz leuchtet eine Henkersmaske hervor, die sich jemand wie eine Sonnenbrille ins Haar geschoben hat; die Videosequenz, die in einem stockfinsteren Raum läuft: das Blitzen einer Diskokugel, unscharf und verwirrend, wie Sonnenreflexe auf ölschwarzem Wasser; die Installation mit Betonblöcken, Neonröhren und dem langen schmalen Spiegel, in den „endless party“ eingraviert ist. Zweimal hat er die US-Flagge verarbeitet, in Längsstreifen zerteilt als Schwarz-Weiß-Bild einerseits, als schwarzer Stofflappen andererseits, auf dem silberne Plättchen blitzen, wo sonst die Sterne sind.

Der studierte Politologe und Kunstgeschichtler Slimane bedient sich stilistisch so ungeniert bei bekannten Vorbildern wie das die Modeketten à la H & M oder Zara tun, die in jeder Saison Ideen der Avantgarde-Couturiers klauen, um sie massentauglich modifiziert unters Volk zu bringen. Die Pose ist eben doch das Entscheidende. Clemens Tissi, mit seinem rasierten Schädel und der schlanken Silhouette ein glaubwürdiger Hedi-Ritter, bringt es auf den Punkt: „Es ist wie mit dem Smoking: Anlässe, ihn zu tragen, gibt es eigentlich nicht mehr – seine Form allein aber zwingt uns schon in eine ganz bestimmte Haltung.“

„Sweet Bird of Youth“, Galerie Arndt & Partner, Zimmerstraße 90, bis 31. August; „f-Systems“, Galerie Clemens Tissi, Potsdamer Straße 70, bis 18. August.

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