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Piktorialisten: Mit Licht gemalt

Die Galerie Kicken beleuchtet die kurze Ära der Piktorialisten in der Fotografie.

Fotografen litten um die vorletzte Jahrhundertwende herum unter einem Minderwertigkeitskomplex. Sie fühlten sich als Sklaven der Wirklichkeit, ihre Arbeit galt bestenfalls als Handwerk und nicht als Kunst. Deshalb nannten sie sich „Lichtbildner“ und entwickelten Techniken, die ihre Fotos wie Gemälde aussehen ließen. Es reichte nicht mehr aus, die Welt einfach abzubilden. Sie sollte zugleich mit Gefühlen und Eindrücken aufgeladen werden. „Ja, diese Photographen haben die Tradition der künstlichen, reproduzierenden Photographie durchbrochen“, schrieb der Fotograf und Kritiker Fritz Matthies-Masuren 1898. „Sie haben sich von der ,Photographie‘ befreit und ihre einzigen Vorbilder in der Natur und den Werken bildender Künstler gesucht, sie haben die photographische Schärfe, die klare und störende Zeichnung der Einzelheiten verschwinden lassen und damit die einfache große Erscheinung erreicht.“

Ein solches Plädoyer für eine Fotografie, bei der die Schärfe und die Details bloß „stören“, die „Erscheinung“ sein soll statt Abbild, wirkte schon bald darauf kurios. Das „Neue Sehen“ der zwanziger Jahre wollte von dieser Haltung nichts mehr wissen. Fotografie, so forderten es das Bauhaus und die Meister der Neuen Sachlichkeit wie August Sander oder Albrecht Renger-Patzsch, sollte die ungeschönte Wirklichkeit zeigen. Retuschen und Manipulationen, wie die Lichtbildner sie liebten, galten fortan als verpönt. Die Kunstfotografen der vorletzten Jahrhundertwende, die in Deutschland auch unter dem Begriff „Jugendstilfotografie“ und in England und Amerika als „Pictorialists“ zusammengefasst wurden, landeten im Orkus der Geschichte. Man hielt sie für rückwärtsgewandt und antimodern, ihr Werk für einen historischen Irrtum.

Unter dem Titel „Piktorialismus – versteckter Modernismus“ räumt nun eine Ausstellung in der Galerie Kicken mit diesem Vorurteil auf. Sie versammelt gut vierzig Bilder von deutschen, österreichischen, französischen, tschechischen und amerikanischen Fotografen, die eindrucksvoll belegen, dass die Piktorialisten durchaus einem radikalen Reformprogramm folgten. Ihre Haltung erinnert an die Impressionisten und Symbolisten, „Stimmung“, „Gefühl“ und „Ausdruck“ wurden Leitbegriffe der Bewegung. Filme und Fotoplatten waren gewissermaßen die Leinwände dieser Künstler. „Hier macht sich derselbe versteckte Modernismus ans Werk, der die Glas- und Stahlarchitektur des 19. Jahrhunderts hinter historistischen Fassaden verbarg“, schreibt Wilfried Wiegand als Experte für Fotografie im Katalog. „Wir sollten uns von der verschwommenen Schönheit der Oberfläche nicht täuschen lassen, dahinter steckt der Kubismus unserer modernen Welt.“

Bei Heinrich Kühn weiden Schafe unter einem wolkenverhangenen Himmel und seine trachtentragenden Fischerinnen, die eine Düne hochstapfen, könnten auch einem Gemälde von Max Liebermann entstammen. Die Balletttänzerin, die Robert Demachy in dunstigen Schraffuren auflöst, erinnert an Degas. Anton Josef Trcka lässt Egon Schiele als zackigen Snob vor seinem Gemälde „Begegnung“ posieren. Hugo Erfurth hat seine Ehefrau mit geistesabwesend umschleiertem Blick neben ein Rosenbäumchen platziert.

Die Piktorialisten arbeiteten mit Weichzeichnern und experimentierten mit Drucktechniken. Ihre Bilder, aufwendig als Pigment-, Bromöl- oder Gummidruck hergestellt, schimmern in samtenem Braun, Blau und Schwarz. Industrie und Großstadt kommen in diesen Fotos nicht vor, stattdessen wird mit apfelpflückenden Frauen im Reifrock oder den durchs Münchner Siegestor trappelnden Pferdefuhrwerken ein Idyll beschworen, das längst dabei ist zu verschwinden. Vom Ersten Weltkrieg, der diese Welt hinwegfegen sollte, ist nichts zu spüren. Doch über den Fotos hängt bereits eine große Schwermut. Die Bilder, allesamt Vintage Prints, kosten zwischen 6000 und 30 000 Euro. Christian Schröder

Kicken Berlin, Linienstr. 155; bis 18. April, Di.–Sa. 14–18 Uhr. Katalog 30 €.

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