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Ausstellungen: Stadt der Frauen

Die 52. Biennale Venedig glänzt mit dem deutschen Pavillon von Isa Genzken – und mit politischer Kunst im Arsenale

Das Herz der 52. Biennale von Venedig liegt am Ende der Querallee in den Giardini – und es ist nichts Geringeres als ein Olymp der Kunst. Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit Sophie Calle, Tracy Emin und Isa Genzken haben drei Künstlerinnen für ihre Pavillons gewählt, die an Kraft, Intelligenz, auch weiblichem Selbstbewusstsein alles übertrumpfen, was die Kuratorinnen der letzten Biennale zusammengetragen hatten. Ob Zuneigung oder Ablehnung, die drei provozieren Leidenschaftlichkeit.

Wobei Isa Genzken die Sperrigste, Schwierigste, sicher auch Schrulligste im Trio ist – verglichen mit der eher läppischen Doppelbespielung Scheibitz/Sehgal 2005, steht sie so imponierend weltraumfremd im marktbestimmten Ausstellungszirkus wie die Astronauten, die sie im Deutschen Pavillon von der Decke hängen lässt. Darunter: Koffer, Koffer, Koffer. Eben noch hat sich die im Billigflieger aus Berlin angereiste Kunstwelt einträchtig am Gepäckband wiedergefunden, nun präsentiert die Kunsttouristin Genzken das ihre: Plakate, von der Berliner Rembrandt-Ausstellung bis zu Canalettos Venedig, und dazwischen eine Heerschar von Hundepostern, gekrönt von etwas zerrupften Eulen.

Eulen nach Venedig? Die mit jeder Menge Trash und Plastikmüll aufgeladene Reise Genzkens geht viel weiter – in eine Zukunft, wo Astronauten sterbend am Boden liegen und sich Äffchen im Weltraumkostüm, verletzlich wie Embryos, in Plastikstühle schmiegen. Und unübersehbar reist mit: Gevatter Tod, in Form von Schädeln und Galgenschlingen, die von der Decke baumeln. Ein Memento mori für unsere Welt, oder nur eine kauzig-bittere Antwort auf das so lustig-gesellige Kunsttreiben? Die Eingangsschleuse hat Genzken als Spiegelkabinett gestaltet und ansonsten den Deutschen Pavillon, mit dessen Geschichte sich so viele Künstler qualvoll auseinandergesetzt haben, mit orangefarbenen Plastiknetzen überzogen. Mindestens so wuchtig solle ihr Beitrag werden wie Beuys legendäre Straßenbahnhaltestelle, hatte die Künstlerin gesagt. Ein hoch gestecktes Ziel: Wir bauen daran.

Neben diesem Weltraum-Werk wirkt der Französische Pavillon Sophie Calles wie ein liebenswürdiges Leichtgewicht. 107 Frauen, von der Psychologin bis zur Kriminalistin, von der Schauspielerin bis zur Scharfschützin, hat sie gebeten, die Abschieds-E-mail eines Geliebten zu interpretieren. Da hört man Jeanne Moreaus raue Stimme oder die Fado-Sängerin Misia, sieht den Brief nach Orthografie-Fehlern analysiert, als Partitur vertont oder in ein Kreuzworträtsel verwandelt. Was in professionellen Lesarten (und in Sachen Schadenfreude gegenüber dem untreuen Schreiber) seinen Reiz hat – und die Besucher lange im Pavillon hält. Nur wiederholt Calle einmal mehr das Spiel mit persönlichen Erlebnissen, ergänzt durch inszenierte Fotos schöner, starker Frauen. Die Türen, die sie einrennt, sind längst offen.

Da hat Tracy Emin deutlich mehr zu bieten. Das ehemalige bad girl der britischen Kunstszene ist die Überraschung dieser Biennale – und, mit einer Vielzahl kleinformatiger Zeichnungen, die Gewinnerin im Amazonen-Wettstreit. Benutzte Unterhosen, beschlafene Betten, gespreizte Schenkel: Die Künstlerin bleibt ihrem großen Thema Sexualität treu, doch mit einer ästhetischen Sicherheit, die weit über jede Provokation hinausgeht. Als habe Egon Schiele den Stift geführt, sind auf den fast fünfzig Monotypien mit wenigen Strichen weibliche Akte in Reinform zu sehen. Fast impressionistisch zarte Farbpaletten bei nicht nachlassender Drastik auch bei den Ölbildern: Fernab der psychologischen Nabelschau jener Aquarelle von 1990, in denen sie den Schmerz einer Abtreibung verarbeitete, stellt die heute 45-Jährige ihre Arbeiten selbstbewusst und cool in die Kunstgeschichte.

Selten wurde die meist besonders entdeckungsträchtige Länderschau der Biennale so von Frauen dominiert wie in diesem Jahr. Die Bandbreite entfaltet sich eher am Rande: etwa in dem von Maria Sosnowska komplett mit einer Installation ausgekleideten Polnischen Pavillon. Ein verzogenes Gerüst aus schwarzem Stahl, mit sich durchbiegenden Deckenträgern und zusammenbrechenden Leitern. Stets hat es in Venedig solche architektonischen Großtaten gegeben: Gregor Schneider mit seinem Haus Ur 2001, Hans Schabus mit seinem Holzberg über dem Österreichischen Pavillon 2005. Bei Sosnowska ist es, halb Titanic, halb Metropolis, ein melancholischer Abgesang auf Ballsäle oder Großarchitekturen – und, schwarz und streng in weißem Raum, eine höchst konsequente Reduktion. Das Gegenbild stellt der Australier Callum Morton in den Hof des Palazzo Zenobio, eine der zahllosen Außenstellen der Biennale: die rauchende Betonruine in Fast-Originalgröße funktioniert als liebevoll-ironische Hommage an das Haus seiner Kindheit, das sein Vater, ein Architekt, im brutalistischen Moderne-Stil baute – es ist längst abgerissen.

Abgesänge auf ausgediente Kulturbauten in Ungarn, Erinnerungsarchäologie für Hiroshima in Japan, zarte Papierporträts während der Diktatur verschollener Freunde in Uruguay, ein Katalog mit Staatsporträts des Ehepaars Ceausescu in Rumänien und posthume Ehrungen für Felix Gonzales-Torres bei den Amerikanern und Emilio Vedova bei den Venezianern: viel Vergangenheit. Den entschiedensten, politisch motivierten Gegenentwurf liefert, im Niederländischen Pavillon, Aernout Mik. In einer Mischung aus Found Footage, Filmszenen, Feldbett- und Containerinstallationen zeigt er ein finster-desillusioniertes Bild der Niederlande nach dem Mord an Theo van Gogh: das Ende einer offenen Gesellschaft. Grenzer, die LKW-Fahrer kontrollieren oder Flüchtlinge durchsuchen, Jugendliche, die ein Auffanglager nachstellen. Gewalt, von Seiten des Staates wie der Gegner: Die Bilder sind vertraut – und man ertappt sich dabei, sie mit vorgefassten Deutungen zu lesen. Das Ressentiment steckt schon im Nachrichtenkonsum. Kunst findet nicht im Orbit statt - auch wenn die entspannte Stimmung dieser Biennale es, verführerisch genug, vermuten lässt. Christina Tilmann

Die Ankündigungen klangen geraddezu verwirrend ehrgeizig: Alles solle mit allem verbunden werden – der Geist mit dem Körper, die Vernunft mit der Unvernunft, die Gedankenwelt mit dem Gefühlsleben. Robert Storrs vor Monaten in Berlin vorgestelltes Biennale-Konzept ließ ein großes Mischmasch befürchten. Sein Ausstellungstitel „Mit den Sinnen denken, mit den Gedanken fühlen“ sowie die 100 Namen fassende Künstlerliste überraschten durch ihre Konturlosigkeit – zumal der amerikanische Kurator, Kritiker und Kunstprofessor durch seine frühzeitige Berufung mehr Vorlauf als bisher jeder andere Biennale-Macher hatte.

Alles wohl nur Taktik und Nebenkerzenwerfen. Seine Schau im Arsenale ist schlicht überwältigend. Spätestens beim Video der jungen Belgierin Sophie Whettnal verspürt man dieselbe atemlose Spannung, die auch die junge Frau im Film befallen muss, die unausgesetzt den Angriffen des Schattenboxers ausgesetzt ist. Im Sekundentakt attackiert der durchtrainierte Kämpfer die Schöne, ohne dass seine Hiebe sie je berühren würden. Seine rasenden Bewegungen lösen jedoch einen Luftzug aus, der das Kleid seiner Sparringpartnerin wehen lässt.

Das Gefühl eines Angriffs, einer gerade noch abgebremsten Attacke verlässt den Betrachter in den langgestreckten Räumen des Arsenale nicht mehr. Die auch politische Sprengkraft der Arbeiten müsste geradezu einen Wirbelsturm auslösen müssten, wenn die Kunst denn jene gesellschaftliche Bedeutung besäße, die sie sich wünscht. Gegen Krieg, gegen Terror, gegen Menschenverachtung wenden sich die hier versammelten Werke unisono – und gegen die immer schnellere und schamlosere Kommerzialisierung. Ein schärferer Kontrast zur Art Basel mit ihrem Prinzip der postwendenden Weiterverwertung, die der Sammlertross als nächste Station aufsucht, lässt sich kaum denken. Welcher amerikanische Supercollector, der seine Luxus-Yacht gleich vor den Giardini vertäut hat, würde sich schon die aberhundert passbildgroßen Porträtzeichnungen von Emily Prince an die Wand pinnen? Die 26-Jährige schuf ein Memorial für die im Irak und Afghanistan umgekommenen Armee-Angehörigen, das vor allem die eigene Bush-Regierung kritisiert.

Allein ein Viertel der von Robert Storr ausgewählten Künstler stammt aus New York. Und doch richtet sich der Blick auf Krisenherde in der ganzen Welt. Die Australierin Rosemary Laing zeigt die architektonische Brutalität der Abschiebungslager ihres Landes, der Israeli Tomer Ganihar in der Serie „Hospitalparty“ den zynischen Alltag in den Armee-Krankenhäusern seiner Heimat, wo mit Plastikpuppen der Ernstfall auf dem Operationstisch geprobt wird. Der Argentinier Leon Ferrari collagiert Folterszenen mittelalterlicher Holzschnitte mit Behandlungsmethoden neuzeitlicher Diktatoren. Der Italiener Paolo Canevari filmte in Belgrad das aberwitzige Fußballspiel eines serbischen Jungen, der vor den Ruinen seines Wohnquartiers mit einem Gummi-Totenkopf kickt. All diese Bilder fasst der Chinese Yang Zhenzhong in einem riesigen Videoreigen zusammen: Auf der ganzen Welt bat er Menschen, die Worte „Ich werde sterben“ in die Kamera zu sprechen. Sie sagen es lachend, verlegen, besorgt, beschämt und scheinen doch zu denken: „Ich möchte vor allem gut leben.“

Diese starke inhaltliche Positionierung Storrs im Arsenale macht die Schwäche seines zweiten Ausstellungsteils im italienischen Pavillon der Giardini umso deutlicher – und das Ärgernis um die von ihm eingeladene afrikanische Sammlung umso größer. Um Afrika auf dem wichtigsten Kunstplatz der westlichen Welt einen Raum zu gewähren, überließ er der Privatkollektion Sindika Dokolo im Arsenale einen ganzen Saal. Der gute Wille erweist sich jedoch als fatal: Denn was haben der US-Amerikaner Andy Warhol, der Spanier Miquel Barceló oder der Brasilianer Alfredo Jaar mit Afrika zu tun? Und sind nicht Yinka Shonibare, Kendell Geers und Santu Mofokeng längst anerkannt? Soll hier der Wert einer privaten Sammlung gesteigert werden – mit Hilfe des subventionierten Kunstbetriebs? Die Nebenausstellung gerät in ein fragwürdiges Licht, und Storrs großzügige Geste erweist sich als leichtfertig.

Das verwundert, denn als Kustos am New Yorker Museum of Modern Art zwischen 1990 und 2002 sind ihm die Marktgepflogenheiten bestens geläufig. Wie viel er vom klassischen Kuratieren versteht, zeigt Storr im italienischen Pavillon. Hier wird mit großer Geste pure Ästhetik präsentiert: ganze Säle mit Robert Ryman, Ellsworth Kelly, Gerhard Richter, Sigmar Polke. Hier findet sie sich plötzlich doch, die befürchtete Beliebigkeit. Ob die leuchtenden Bilder des Amerikaners Thomas Nozkowski oder die frechen Graffiti des Rumänen Dan Perjovschi, der sich über den Kunstbetrieb lustig macht: Gegen die entschiedenen Statements in den anderen nationalen Pavillons kommt diese Liebhaberschau nicht an. Da hat der Ausstellungsmacher sein eigenes Motto offensichtlich zu sehr beherzigt und selbst zu heftig mit den Sinnen gedacht.

Nicola Kuhn

Biennale di Venezia, 10. Juni bis 21. November (www.labiennale.org)

Christina Tilmann

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