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Oprah Winfrey ist Mrs. Welche in DuVernays "Das Zeiträtsel".

© Atsushi Nishijima / Disney

Ava DuVernays "Zeiträtsel" im Kino: Zeit für Heldinnen wie Oprah

Ava DuVernays "Zeiträtsel" ist der erste Hollywood-Blockbuster unter Regie einer Afroamerikanerin. Der Film ist Zeichen eines kulturellen Wandels. In der Hauptrolle: Oprah Winfrey.

Von Andreas Busche

Fast wäre Oprah Winfrey im Januar zur nächsten US-Präsidentin ernannt worden. Die überschwänglichen Reaktionen auf ihre präsidiale Rede bei den Golden Globes erinnerten daran, wie groß in den USA gerade die Sehnsucht nach einer Integrationsfigur ist. Vielleicht wäre sie sogar die logische Besetzung für das höchste Amt des Landes, verkörpert sie doch das politische Erbe des amtierenden und des letzten Präsidenten: als Afroamerikanerin und als TV-Celebrity. Es war ein kurzer Hoffnungsschimmer, bis Oprah – sie wird in den USA ehrfürchtig nur beim Vornamen genannt – verkündete, sie habe nicht vor, in die Politik einzusteigen.

Oprah weiß, dass ihr Ansehen in der profanen Realität der Tagespolitik nur Schaden nehmen kann. Sie fühlt sich zu Höherem berufen. Im neuen Disney-Film „Das Zeiträtsel“ von Ava DuVernay hat sie ihre Traumrolle gefunden, als spirituelle Führerin einer Gruppe von weiblichen Schutzengeln, die in ihrem Kampf gegen die Mächte der Finsternis auf ein kleines Mädchen aus einer zerrütteten Familie angewiesen sind.

Oprahs Mrs. Which ist eine in jeder Hinsicht überirdische Erscheinung: eine kosmische, in wogende Stoffe und Glitzerstaub gehüllte Matriarchin, die über das Schicksal des Universums wacht. Ihr zur Seite stehen die plappernde Mrs. Whatsit (Reese Witherspoon) und die orakelnde Mrs. Who (Mindy Kaling), die philosophische Weisheiten von Buddha, Euripedes und Jay-Z von sich gibt.

Dem „Zeiträtsel“ eilt der Ruf voraus, die Kräfteverhältnisse in Hollywood weiter zu verschieben. Madeleine L’Engles Fantasyroman „A Wrinkle of Time“ von 1962 gehört in den USA zu den Standardwerken der Jugendliteratur, wegen der Verquickung von spirituellen und wissenschaftlichen Motiven, aber vor allem, weil die Hauptfigur ein junges Mädchen ist.

Disney bildet die Speerspitze eines kulturellen Wandels

Die 13-jährige Meg, gespielt von der umwerfend skeptisch dreinschauenden Storm Reid, hat ihren Vater (Chris Pine), einen Physiker, bei einem Raum/Zeit-Experiment verloren. Ihre Mutter Kate (Gugu Mbatha Raw), ebenfalls Physikerin, glaubt, dass ihr Mann irgendwo im Universum noch lebt; derweil hat sich Meg zu einem „schwierigen“ Teenager mit Schul- und Pubertätsproblemen entwickelt. Bis ihr hellsichtiger jüngerer Bruder Charles Wallace (Deric McCabe) die wunderliche Mrs. Whatsit mit nach Hause bringt.

Es ist kein Zufall, dass „Das Zeiträtsel“ wenige Wochen nach „Black Panther“ startet, der die Schallmauer von einer Milliarde Dollar Umsatz weltweit durchbrochen hat. Der Mutterkonzern Disney, der die Rechte am Marvel-Franchise besitzt, bildet momentan die Speerspitze eines kulturellen Wandels in Hollywood, der mit dem Erfolg von „Black Panther“ erste Spuren hinterlässt.

Storm Reid als Meg Murry und Levi Miller als Calvin O·Keefe in einer Szene des Films "Das Zeiträtsel".
Storm Reid als Meg Murry und Levi Miller als Calvin O·Keefe in einer Szene des Films "Das Zeiträtsel".

© -/Walt Disney Germany /dpa -

Disney-Produzentin Catherine Hand setzt die wichtige Arbeit von Kathleen Kennedy fort (die den „Star Wars“-Reboot mit einer weiblichen Actionheldin verantwortet), indem sie und Vize-Executive Tendo Nagenda die „Zeiträtsel“-Regie Ava DuVernay anvertrauten. DuVernay hatte zuvor mit dem Martin-LutherKing-Biopic „Selma“ auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt ist sie die erste Afroamerikanerin und die dritte Frau nach Kathryn Bigelow („K-19“, 2002) und Patty Jenkins („Wonder Woman“, 2017), die bei einem Film mit einem Budget von über 100 Millionen Dollar Regie führt. Im Herbst folgt Niki Caro („Whale Rider“) mit der Realverfilmung von „Mulan“, ebenfalls eine Disney-Produktion.

Nüchtern betrachtet, setzt „Das Zeiträtsel“ eine Entwicklung fort, die seit dem Überraschungserfolg von „Straight Outta Compton“ weite Kreise zieht. Das Biopic über die Gangsta-Rapper  NWA widerlegte im Sommer 2015 das Branchenurteil, Filme mit „schwarzen“ Themen und überwiegend afroamerikanischer Besetzung hätten kein zielgruppenübergreifendes Vermarktungspotential.

Im Regiefach beträgt der Frauenanteil nur elf Prozent

Kulturelle Diversifizierung ist für Disney in erster Linie natürlich ein Geschäftsmodell. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen ins Kino gehen, müssen Zielgruppen aktiviert werden, die sich bislang in Hollywood nicht repräsentiert fühlten. Gleichzeitig erlaubt eine Lockerung der bislang ehernen Regeln in der Filmindustrie aber auch neue Stimmen, Erfahrungen, Kinogeschichten.

Die jährliche Studie „The Celluloid Ceiling“ der San Diego State University stellte kürzlich fest, dass im vergangenen Jahr 18 Prozent aller Beschäftigten in den 250 kommerziell erfolgreichsten Produktionen Frauen gewesen seien. Ein Prozent mehr als im Vorjahr, allerdings auch genauso viele wie schon 1998. Im Regiefach beträgt der Frauenanteil elf Prozent. Nur ein Prozent der Filme hat zehn oder mehr Frauenrollen, bei den männlichen Figuren sind es dagegen 70 Prozent. Wegen alldem gründete Reese Witherspoon 2014 die Produktionsfirma Pacific Standards. Sie wollte mehr Kontrolle über ihre Karriere und die ihrer Kolleginnen, nachdem sie irgendwann nur noch miese Drehbücher erhielt, wie sie in Interviews erzählte. Heute gilt sie in Hollywood als eine wichtige Stimme, sie gehörte auch zu den Initiatorinnen der „Time’s Up“–Kampagne.

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Es gibt also genug Gründe, „Das Zeiträtsel“ als nächste Wegmarke im Wandel der US-Filmindustrie zu betrachten. Als Statement dreier einflussreicher Frauen in Hollywood und der Unterhaltungsbranche: Oprah Winfrey, Catherine Hand, Reese Witherspoon. Und als Beleg dafür, dass dieser Einfluss tatsächlich Veränderung bewirken kann. In einem Publikumsgespräch beschrieb Ava DuVernay Anfang des Jahres, wie es sich anfühlte, zum ersten Mal mit Frauen und Afroamerikanern im Konferenzraum eines Hollywoodstudios zu sitzen. „Ich war ganz entspannt, sie kannten mich und ich kannte sie. Dieses gegenseitige Verständnis schafft Vertrauen. Darum ist es so wichtig, dass mehr von uns in solchen Räumen zusammenkommen.“

„Das Zeiträtsel“ ist ein Disney-Film, wie es noch keinen gegeben hat. Er folgt den Regeln patentierter Familienunterhaltung, für die der Unterhaltungskonzern mit seiner 100-jährigen Geschichte steht. Gleichzeitig steckt er voller Nuancen, kultureller Sensibilitäten und Referenzen, die wie eine Revision des Weltbilds von Walt Disney anmuten – dem Firmengründer werden Rassismus und Ressentiments vorgeworfen, auch von namhaften Hollywoodgrößen wie Meryl Streep.

Die Regisseurin Ava DuVernay.
Die Regisseurin Ava DuVernay.

© Frederick M. Brown/Getty Images/AFP

Ava DuVernay wurde genau hierfür von Disney mit der Regie beauftragt. Innerhalb einer globalen Unterhaltungsmaschinerie ist ihr – ähnlich wie Ryan Coogler mit „Black Panther“ – ein Blockbuster mit persönlicher Handschrift gelungen. Diese findet sich weniger in den gigantischen CGI-Tableaux, durch die die drei Misses, Meg, Charles Wallace und der Nachbarsjunge Calvin (Levi Miller) auf ihrer Reise durch Zeit und Raum stolpern, sondern in zahllosen inszenatorischen Details: Dialogen, beiläufigen Beobachtungen, den elliptischen Bildmontagen in den intimeren Familienszenen (Cutter Spencer Averick arbeitete mit DuVernay schon an „Selma“ und der von Oprah produzierten Serie „Queen Sugar“), dem zentralen Song von Popstar Sade und nicht zuletzt der Tatsache, dass Meg von einem schwarzen Mädchen mit unbändigen Afro-Locken gespielt wird, die sie zur Spottfigur ihrer weißen Mitschülerinnen machen.

DuVernay wahrt die Integrität ihrer Geschichte

Die Botschaft in „Das Zeiträtsel“ ist von entwaffnender Einfachheit: Du musst dich selbst lieben, um Gutes zu schaffen. Auf dem Planeten Camazotz begegnet die unsichere Meg ihrem „perfekten Selbst“ (stolz, hochgewachsen, glatte Haare), mit dessen Hilfe die dunkle Macht „It“ sie zum Bösen bekehren will. Doch Meg widersteht der Versuchung, eine andere zu sein. DuVernay ist es wichtig, dass ihre Hauptfigur ein Identifikationsangebot für junge Mädchen darstellt, das universell und gleichzeitig spezifisch ist.

Die emotionale Tiefe und die Liebe zum Detail droht in „Das Zeiträtsel“ gelegentlich von den schieren Dimensionen der digitalen Kulissen erdrückt zu werden. Dennoch wahrt DuVernay die Integrität ihrer Geschichte. Hollywood hat das Vertrauen in die 45-jährige Regisseurin bereits erneuert. Ihr nächstes Projekt ist der Superheldenfilm „New Gods“ für DC.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinemotion Hohenschönhausen, Kino Spreehöfe

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