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"Axolotl Roadkill"-Übersetzung: Who the hell is Rudi Carrell?

Ein sehr deutsches Buch: Die Berlinerin Katy Derbyshire hat Helene Hegemanns viel diskutierten Roman "Axolotl Roadkill" ins Englische übersetzt. Dabei wurde Uschi Obermeier zu Bianca Jagger - und Rudi Carrell zu David Hasselhoff.

Drogenexzesse, Vergewaltigungen, Gefühllosigkeit – Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ beschreibt eine wohlstandsverwahrloste, popkulturell übersättigte Großstadtjugend. Die Diskussion darüber, dass die damals 17-jährige Autorin einzelne Passagen ihres Buches ohne Quellenangabe aus Texten anderer übernommen hatte, beschäftigte im Frühjahr wochenlang den Literaturbetrieb. „Axolotl Roadkill“ wurde zum Bestseller, der Ullstein Verlag verkaufte nach eigenen Angaben bisher 120 000 Exemplare der deutschen Ausgabe, die Übersetzungsrechte gingen in 21 Länder, darunter Brasilien, Rumänien und Korea.

Und Großbritannien. Die Berliner Übersetzerin Katy Derbyshire hat das meistdiskutierte Buch des Literaturjahrs 2010 ins Englische übertragen. Vier Monate hat sie für die rund 200 Romanseiten gebraucht, kurze Pausen eingerechnet. „Ich musste ja die Stimme der Erzählerin zu meiner eigenen machen,“ sagt Derbyshire beim Gespräch in ihrem Dachbüro in Mitte. „Und Mifti“ – die Ich-Erzählerin – „ist ziemlich fertig.“ Deshalb hat die Übersetzerin sich immer wieder ein paar Tage lang mit etwas anderem beschäftigt als mit der Verlorenheit und dem Schmerz von „Axolotl“ – „das hätte mich sonst fertiggemacht“, sagt die 37-Jährige, die sich trotzdem als „Fan“ des Buchs bezeichnet.

Wie bringt man diesen Roman, der im Berlin der Jetztzeit spielt, der voll ist mit kulturellen Anspielungen, in eine andere Sprache? „Jedes Buch hat seine eigenen Tücken“, sagt sie. Bei „Axolotl Roadkill“ war es die eigenartige, artifizielle Mischung aus absichtlich gestelztem Intellektuellen-Slang und „sehr junger Umgangssprache“, sagt Derbyshire. Einige der von Helene Hegemann in den Romantext eingearbeiteten Zitate mussten gar nicht eigens übersetzt werden – die englischen Originalausgaben von David Foster Wallaces „Girl with Curious Hair“ sowie Kathy Ackers „Blood and Guts in High School“ und „My Mother: Demonology“ liegen noch neben Derbyshires Laptop auf dem Bürotisch. Zusammen mit dem Wörterbuch und dem Synonymlexikon.

Die beiden Wälzer waren der Übersetzerin jedoch gar keine große Hilfe. Der Figurenname „Geschmeido“ steht jedenfalls nicht drin – Derbyshire machte „Smoothio“ draus. Sie lauschte auf Gespräche, in London und in der britischen Community in Berlin, versenkte sich kopfüber in den Text. Schließlich sollte die Übersetzung nicht nur zur Gegenwart passen, sondern auch eine Weile halten. „Ich konnte ja nicht einfach aus Facebook abschreiben. Andererseits durfte die Sprache aber auch nicht so klingen, als käme sie von mir.“

Katy Derbyshire wurde in London geboren, studierte Germanistik in Birmingham und an der Humboldt-Universität, ihr Übersetzerdiplom machte sie in London. 1996 kam sie nach Berlin, seit 2002 arbeitet sie als Übersetzerin, brachte Geschichten von Clemens Meyer, Selim Özdogan und Finn-Ole Heinrich ins Englische. Derbyshire steht in Kontakt mit den „Axolotl“-Übersetzern ins Französische, Finnische, Schwedische und Hebräische. Meistens geht es in der Korrespondenz um Verständnisfragen – wie zum Teufel übersetzt man „Heulbojenerna“?

Auch kulturelle Eigenartigkeiten machen die Übersetzung schwierig. Immer wieder stand Katy Derbyshire vor dem Problem, wie sie einem britischen Publikum bestimmte Anspielungen erklären sollte. Wenn sich ein Berliner Taxifahrer das Gesicht von Rudi Carrell auf den Unterarm tätowieren lässt, können deutsche Leser das lustig finden. Die meisten Briten dagegen würden wohl nur fragend die Augenbraue heben. Wie also, fragte Derbyshire sich und die Welt auf ihrem Blog „Love German Books“, kann eine Übersetzerin dem Originaltext treu bleiben und trotzdem den Witz so gut wie möglich erhalten?

Die Antwort: Man ersetzt die Figuren. In enger Absprache nicht nur mit dem Verlag Constable & Robinson, sondern auch mit Helene Hegemann machte Derbyshire sich daran, Entsprechungen nicht für alle, aber für die allzu deutschen Popkultur-Ikonen zu suchen. Könnte der britische Komiker Benny Hill ein angemessener Carrell-Vertreter sein? Einige Zeit stand er ganz oben auf Derbyshires Liste. Dann aber entschied sie sich doch für den „Baywatch“-Star David Hasselhoff – als Tattoo-Motiv genauso trashig, aber populärer. Schließlich muss die Person nicht nur den britischen Lesern etwas sagen, es muss auch plausibel sein, dass die Romanfigur sie kennt. So wird Uschi Obermaier in der englischen Version zu Bianca Jagger, Alice Schwarzer wird zur australischen Feministin Germaine Greer.

Manchmal aber gibt es keine Ersetzungen, da muss erklärt werden, wenn auch widerstrebend. Beate Uhse etwa, „Germany’s sex-shop pioneer and former stunt pilot“. Oder das „Kotti“, also die „Kottbusser Tor station, the epicentre of Berlin’s illegal drug supply chain“. Klar, sagt Derbyshire, „man ringt mit sich, weil man nicht zu sehr in den Text eingreifen will“. Aber schließlich ist das bitter-ironische Motto, das Helene Hegemann ihrem Roman vorangestellt hat, der Pro-7-Slogan „We love to entertain you“. Es wäre gegen den Geist des Buchs, findet Derbyshire, es so zu übersetzen, dass ein britischer Leser ständig stutzen muss und die Witze nicht versteht.

Persönlich begegnet ist Derbyshire der Autorin nie, stand aber in regelmäßigem E-Mail-Kontakt mit Hegemann: „Das war sehr hilfreich, ich habe sie sehr schätzen gelernt.“ Die britische Version von „Axolotl Roadkill“ soll im April 2011 erscheinen, zwei weitere von Derbyshire übersetzte Titel kommen ebenfalls im Frühjahr in England heraus: eine Übersetzung des für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten „Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika – und die englische Version der „Schattenboxerin“ von Inka Parei, Derbyshires „großer literarischer Liebe“, wie sie sagt. Übrigens eine, bei der sie beim Übersetzen keine Pausen gebraucht hat.

Katy Derbyshires Literatur-Blog: http://lovegermanbooks.blogspot.com

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