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Kultur: Baden in Büchern

SCHREIBWAREN Bodo Mrozek über die letzten sommerlichen Freiluftlesungen Der Sommer gilt nicht gerade als gute Saison für Literatur. Angeblich ist es ja der Herbst, der mit seinen langen und kühleren Abenden zum Lesen einlädt.

SCHREIBWAREN

Bodo Mrozek über

die letzten sommerlichen Freiluftlesungen

Der Sommer gilt nicht gerade als gute Saison für Literatur. Angeblich ist es ja der Herbst, der mit seinen langen und kühleren Abenden zum Lesen einlädt. Etiketten wie „Bücherherbst“, der Termin der Frankfurter Buchmesse und eine Vielzahl von Lesungen stärken diesen Eindruck, der sicher sein Berechtigung hat. Trotzdem fragt man sich jedes Jahr erneut: Was machen Bücherleser eigentlich im Sommer? Schließlich kann man auch auf dem Balkon, am See oder am Strand schlecht gänzlich untätig bleiben. Was tun sie also in einem Rekordsommer, dessen Hitzewellen so ziemlich jede körperliche Betätigung unmöglich machen? Flüchten sie in klimaanlagengekühlte Kinos? Oder sind sie in stundenlange Landschaftsbetrachtungen versunken? Man weiß es nicht und will hier nicht spekulieren. Nur soviel: Unserer Meinung nach liest jeder vernünftige Mensch auch zu dieser Jahreszeit Bücher. Je heißer und länger der Sommer, desto mehr.

Die Autoren dagegen haben es schwerer. Nicht jeder ist so gut dran wie Bettina von Arnim, die ihren sommerlichen Tagesablauf einmal so beschrieb: „Hier spring ich morgens aus dem Bett (...) bleib am Schreibtisch sitzen bis Abends sieben Uhr oder auch bis vier Uhr. Nach Tisch spring ich in den Garten, um mich mit den Geistern zu unterhalten, aber nur zehn Minuten und dann wieder ans Schreiben, bis der Meier die Leute weckt (...), dann mache ich mich auch ins Bett und lese nun schon vier Wochen in der spoekenden Witwe, bin immer noch auf der ersten Seite, weil ich allemal drüber einschlafe.“

Als die Schriftstellerin dies im November 1849 an ihre Schwester Gunda von Savigny schrieb, lebte sie in Wiepersdorf, einem verträumten Idyll. Das Schloss im Fläming ist als Stipendiatenheim heute wieder ein Ort für Autoren. Beim Sommerfest am kommenden Sonntag (24. 8.) öffnet sich das malerische Gelände auch den Lesern. Thomas Brussig, der sich mit seinem Roman „Helden wie wir“ einen Namen machte und spätestens seit Leander Haußmanns Verfilmung der „Sonnenallee“ als Publikumsliebling und Aushängeschild der deutschen Gegenwartsliteratur gilt, wird sich mit dem Leben von Fußballern beschäftigen. Er liest aus seinem Roman „Leben bis Männer“ (2001). Es ist die Geschichte eines Fußballtrainers aus der Ostprovinz, dem das an Disziplin und Kollektiv ausgerichtete Training als Metapher für die Ideale der sozialistischen Gesellschaft gilt, an deren Rand er sich bewegte.

Einen Blick über den deutschen Tellerrand wird im Anschluss Tiziano Scarpa gewähren. Der 1963 in Venedig geborene Italiener („Occhi sulla Graticola“) ist für seine makaberen Merkwürdigkeiten und Erotika als enfant terrible der italienischen Literatur berüchtigt. In Wiepersdorf wird er aus seinem Buch „Venedig ist ein Fisch“ lesen, das allerlei alltägliche Verwicklungen und merkwürdige Begebenheiten in der Lagunenstadt erzählt (ab 14.30 Uhr, Bus ab Jüterbog nach Wiepersdorf 12.15 und 13.15 Uhr, zurück 20.15 Uhr).

Ein Klassiker unter den literarischen Sommerorten bleibt auch das Literarische Colloquium Berlin, wie das Sommerfest am vergangenen Wochenende erneut bewies. Wer es verpasst hat, dem bietet sich eine neue Chance. Ernst Augustin wird dort am kommenden Dienstag (26.8., Am Sandwerder 5) aus seinem neuen Buch „Die Schule der Nackten“ lesen. Der 1927 geborene Psychiater und Schriftsteller hat seinen Roman im sommerlichen München angesiedelt, genauer gesagt: in der Nacktbadezone des JakobiSchwimmbades. Dort wird sein Protagonist, ein Historiker fortgeschrittenen Alters Zeuge und Teilnehmer an Auseinandersetzungen um und zwischen den Körpern. Als Gesprächspartner stehen ihm mit Uwe Timm und Matthias Politycki zwei jüngere deutsche Autoren zur Seite, Maike Albath moderiert. Vielleicht eignet sich diese Lesung unweit des Nacktbadestrandes am Wannsee ja dazu, um die Hitzewallungen der abkühlenden Saison nachwirken zu lassen. Wenn es im Sommer, abgesehen vom Schwimmen mit oder ohne Badebekleidung, noch etwas besseres gibt als das Lesen, dann zweifellos das Vorlesen Lassen. Der Herbst kommt früh genug.

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