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Grund zur Freude. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) während einer Vorbesichtigung der Barenboim-Said Akademie im Juli 2016 gemeinsam mit dem Gründer Daniel Barenboim.

© picture alliance / dpa, Paul Zinken

Barenboim-Said Akademie: Wo Welten sich öffnen

In Berlin ist mit der Barenboim-Said Akademie ein Ort entstanden, der Versöhnung für den Nahen Osten verheißt. Staatsministerin Monika Grütters hat den Bau finanziell unterstützt und übernimmt die Betriebskosten

Vielleicht noch mehr als bei allen anderen Bauwerken kommt es bei einem Luftschloss auf die Architekten an. Denn ein Luftschloss Gestalt annehmen zu lassen, das gelingt nur den wenigsten. Daniel Barenboim und der mittlerweile verstorbene Edward Said haben es trotzdem geschafft. Als ihr persönlicher Traum vom Frieden existierte die Barenboim-Said Akademie lange, bevor sie nun ihre ganz realen Pforten öffnet. Wie ein Luftschloss, wie ein verwegener Wunschtraum, mag sie dem einen oder anderen noch heute erscheinen. Denn ein friedliches, von gegenseitigem Respekt geprägtes Zusammenleben der Kulturen im Nahen Osten scheint heute utopischer denn je.

Mit der Eröffnung des akademischen Jahres werden junge Menschen aus der arabischen Welt und aus Israel in der Barenboim-Said Akademie zu Hoffnungsträgern eben dieser Versöhnungsutopie. Darauf kann Berlin, kann ganz Deutschland sehr stolz sein. Es gibt auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares: einen Ort fern des Kriegs- und Krisenalltags, an dem Künstlerinnen und Künstler aus dem Nahen Osten gemeinsam musizieren, lernen und arbeiten – einen geschützten Ort, an dem die Saat der Versöhnung für den Nahen Osten aufgehen kann. Ihr Nährboden ist die Orchestermusik, eine Sprache, die mehr als jede andere des Zuhörens und Einfühlens bedarf – des Lauschens auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf laut und leise –, und die als einzige Sprache über den Verdacht einseitiger Parteinahme erhaben ist.

Ja, Musik öffnet Welten! Nicht zuletzt aus diesem Grund engagiert sich der Bund mit Mitteln aus meinem Kulturetat in der Musikförderung und trägt beispielsweise im Rahmen der Projektförderungen der Kulturstiftung des Bundes, des Hauptstadtkulturfonds, der Förderung der Berliner Festspiele oder auch der „Initiative Musik“ zur Qualität und Vielfalt gerade auch des Berliner Musiklebens bei. Die Barenboim-Said Akademie ergänzt und bereichert das breite Spektrum der Musikförderung um interkulturelle Aspekte. Wenn nur einige Stipendiaten ihre Erfahrungen mit in ihre Heimatländer nehmen und dort weiter geben an andere, erreicht die Friedensbotschaft der Akademie ihren Bestimmungsort. Diese Erfahrungen, die allein die Musik zu schenken vermag, werden nicht mathematisch quantifizierbar sein, und sie werden in keiner Export-Statistik auftauchen. Aber sie sind es, die Verständigung und Verständnis ermöglichen und auf die es deshalb ganz besonders ankommt, wenn Politik und Diplomatie an ihre Grenzen stoßen.

Daniel Barenboim und Staatsministerin Monika Grütters bei der Vorbesichtigung der Akademie im Pierre Boulez Saal im Juli 2016. Architekt Frank Gehry hat den Entwurf für den Saal der Akademie geschenkt.
Daniel Barenboim und Staatsministerin Monika Grütters bei der Vorbesichtigung der Akademie im Pierre Boulez Saal im Juli 2016. Architekt Frank Gehry hat den Entwurf für den Saal der Akademie geschenkt.

© Bundespresseamt

Die Unterstützung der Barenboim-Said Akademie – und damit einer dritten international anerkannten Musikhochschule in Berlin – durch die Bundesregierung ist deshalb nicht einfach nur ein weiteres Stück Kulturförderung, das der kulturellen Vielfalt Berlins und Deutschlands dient. Sie darf durchaus auch als Beitrag der Bundesrepublik zum Friedensprozess im Nahen Osten verstanden werden. Ich freue mich deshalb sehr, dass mein Haus für den Bau der Akademie 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen konnte und ab 2017 die Betriebskosten übernehmen wird. Das Auswärtige Amt hat zugesagt, das Stipendienprogramm zu finanzieren. Damit steht die Barenboim-Said Akademie auf einem tragfähigen finanziellen Fundament – in einer Stadt, die vielleicht noch mehr als andere prädestiniert dafür ist, die Hoffnung auf Verständigung und Veränderung zu nähren.

Eine Utopie wird wahr: Junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten studieren gemeinsam. Daniel Barenboim bei einer Masterclass mit den ersten Studenten der Barenboim-Said-Akademie.
Eine Utopie wird wahr: Junge Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten studieren gemeinsam. Daniel Barenboim bei einer Masterclass mit den ersten Studenten der Barenboim-Said-Akademie.

© Mike Wolff

Berlin ist einer der wichtigsten Orte der Erinnerung an die Barbarei, die durch die deutsche Tyrannei über Europa gekommen ist. Berlin ist der Ort der Erinnerung an die jahrzehntelange Spaltung der Welt in Freiheit und Unfreiheit und an ihre glückliche Überwindung vor 25 Jahren. Wo, wenn nicht hier – im ehemals geteilten, von der scheinbar unüberwindbaren Konfrontation zwischen Ost und West im Kalten Krieg geprägten Berlin – könnte die Überzeugung gedeihen, dass Frieden und Versöhnung möglich sind? Wo, wenn nicht hier – im multikulturellen Berlin, dessen Freiräume und inspirierende Vielfalt Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt anziehen – könnte der Versuch gelingen, mit Hilfe der Kunst jenseits des Trennenden das Gemeinsame zu suchen und zu finden? Über 20 000 professionelle Künstler leben mittlerweile hier – ihr Anteil an der Bevölkerung ist damit zweieinhalbmal so hoch wie im Bundesdurchschnitt.

Berlin steht heute international für ein weltoffenes, den Lehren aus der Vergangenheit verpflichtetes Deutschland. Dass nun ausgerechnet in seiner historischen Mitte aus einem „Luftschloss“ ein solide gebautes Zuhause für Botschafterinnen und Botschafter des Friedens im Nahen Osten geworden ist, sollte uns Deutsche mit Freude und Dankbarkeit erfüllen. Wer hätte das vor gut 50 Jahren, bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den ungeheuren Verbrechen, die Juden in deutschem Namen zugefügt wurden, auch nur zu hoffen gewagt? Möge die Barenboim-Said Akademie einmal mehr beweisen, dass Deutschland seine immerwährende, besondere Verantwortung für Frieden und Versöhnung ernst nimmt und auch Kultur und Kulturpolitik in diesem Sinne Wirkung entfalten und zur Völkerverständigung beitragen können.

Die Autorin ist Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und MdB

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