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Urlaub mit Mutter: Draußen in der Welt wird der angstgestörte Beau (Joaquin Phoenix) gelegentlich von seiner Vergangenheit eingeholt.

© A24/Leonine

„Beau is Afraid“ im Kino: Im Kopf eines Muttersöhnchens

Der Regisseur Ari Aster gilt nach zwei Filmen als Erneuerer des Horror-Genres. In „Beau is Afraid“ schickt er Joaquin Phoenix auf einen bizarren Höllentrip.

Von Andreas Busche

Die Großstadt in „Beau is Afraid“ sieht etwa so aus, wie sich das Fox-News-Publikum den Moloch New York vorstellt. Auf der Straße Müll, an den Häuserwänden Graffiti, Sexshops, aggressive Obdachlose mit Gesichtstätowierungen, Jugendliche mit automatischen Gewehren, ein nackter Serienmörder – und dann versagt im lebensentscheidenden Moment auch noch die Wasserversorgung.

Die sadistischen Fantasien von Regisseur Ari Aster

Beau hat die Wahl: Entweder wagt er sich auf die Straße zum nächsten Kiosk, oder er stirbt an dem Pillenmix gegen seine Panikattacken, der unbedingt mit Flüssigkeit eingenommen werden muss. Also raus. Das Straßenbild gleicht einem Weltuntergangsszenario, die fünfzig Meter bis zum rettenden Laden sind ein Höllen-Parcours. Und Beaus Tag hat gerade erst angefangen.

Der dritte Film von Ari Aster hat allerdings gar nicht den Anspruch eines Amerika-Porträts, obwohl Beau bald widerwillig auf einen Trip durch die USA aufbricht – zur Beerdigung seiner zu Lebzeiten dominanten Mutter. Der Titel verrät im Grunde schon die ganze Handlung, die der amerikanische Horror-Spezialist („Midsommar“) über drei Stunden in verstörenden, gelegentlich auch surreal-komischen Details ausschmückt.

„Beau is Afraid“ ist vielmehr ein Film über den Zustand seines Titel-Antihelden, der Blick in den Kopf eines angstgestörten, mittelalten Amerikaners mit Mutter-Komplex und sexuellen Ladehemmungen. Sein Vater starb buchstäblich auf dem Höhepunkt. Und wer den Moment seiner Zeugung als Moment des Todes erlebt, hat, so Asters Schluss, später wenig Freude am Leben. 

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Beau kommt nur widerwillig auf die Welt. Aster eröffnet seinen Film mit einer Fahrt durch den Geburtskanal; als das Baby nicht zu schreien anfängt, packt auch Mutter Mona kurz die Panik. Es ist inzwischen fast schon eine Konvention, typischerweise von männlichen Regisseuren, Geschichten über männliche Neurosen und Selbstfindungskomplexe mit einer Geburtsszene zu beginnen. Im Leib der Mutter liegt die Wurzel allen Übels.

Das ist im Grunde schon die Prämisse von „Beau is Afarid“. Nur dass Aster über die überbordende, geradezu sadistische Fantasie verfügt, seinen Antihelden, gespielt von Joaquin Phoenix in einer Star-Performance der körperlichen und emotionalen Verwahrlosung, in immer bizarrere Szenarien zu stoßen.

Bilder einer Angststörung

Die Welt in Beaus Kopf und Asters Film sind sozusagen in Eins gesetzt. Das zieht dem Publikum zunächst den Boden unter den Füßen weg. Die Odyssee von „Beau is Afraid“, auch wenn sich der Tonfall von Station zu Station zu ändern scheint (gelegentlich sogar Hoffnung aufschimmert), verfängt sich aber zunehmend in einer schicksalshaften, nach spätestens der Hälfte des Films auch vorhersehbaren Zirkelbewegung.

Für das Psychogramm einer Angststörung mag diese Unausweichlichkeit sogar schlüssig sein. Dramaturgisch entkommt Aster dieser erzählerischen Falle nur noch, indem er den Exzess von Beaus Wahnbildern auf immer absurdere Weise eskalieren lässt. Und das, wohlgemerkt, trotz einer Eröffnungssequenz, die selbst schon an eine Zombie-Apokalypse erinnert. Beziehungsweise an ein reaktionäres Gesellschaftsbild wie aus „Joker“, mit dem Phoenix vor drei Jahren den Oscar gewann.

In der Animationssequenz erfährt Beau (Joaquin Phoenix) die Möglichkeit eines besseren Lebens.
In der Animationssequenz erfährt Beau (Joaquin Phoenix) die Möglichkeit eines besseren Lebens.

© A24/Leonine

Politisch ist an „Beau is Afraid“ jedoch nichts. Im Gegenteil zieht sich Asters Film immer weiter aus der Realität in eine albtraumhafte Fantasiewelt zurück. Beaus erste Etappe endet, nach einem Autounfall, im Krankenbett eines Ehepaares in einer Bilderbuch-Suburbia (Nathan Lane, Amy Ryan), dessen Sohn im Krieg starb und das sich des Findlings mit verstörender Fürsorge annimmt.

Die Waisen des Waldes

Die zweite Station verschafft Beau die Gesellschaft einer Theatertruppe, den „Waisen des Waldes“, die sich wie er dem zivilen Leben verweigern. Dieser Part scheint kurzzeitig in eine heile Michel-Gondry-Welt zu münden; doch die knapp zehnminütige Animationssequenz einer optimistischen Version von Beaus Lebens, entworfen von Cristóbal León and Joaquín Cociña, erweist sich erneut als Finte. Und auch sie endet blutig.

Der ultimative Horror ist schließlich die Rückkehr in das Haus seiner Kindheit, in dem die Mutter kurz zuvor von einem Kronleuchter erschlagen wurde. Und eine Ausgeburt des toten Vaters (mit Riesenhoden) auf dem Dachboden seinem Jungen auflauert.

Asters freudianische Bilder sind geheimnislos und unmittelbar lesbar. Es geht in „Beau is Afraid“ aber auch weniger um Chiffren für das Id seiner Hauptfigur als um die Herausforderung, Kastrationsängste so visuell wie möglich zu inszenieren. Ari Aster hat sich den Status des Horror-Autors nach nur zwei Filmen erarbeitet. Mit „Beau is Afraid“ strapaziert der 36-Jährige nun den Nimbus des Junggenies und Kritiklieblings, der sich in Hollywood anscheinend alles leisten kann. Es ist auch ein Stresstest für die Geduld seiner zahlreichen Fan.

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