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Kultur: Bekehrung unter Sternen

Jazz als Energiefluss: Das Vijay Iyer Trio in Neuhardenberg.

Von Gregor Dotzauer

Noch in den tiefen siebziger Jahren verkündete Joe Zawinul, der Keyboarder von Weather Report, das Jazzprogramm der neuen Zeit: „We always solo, and we never solo.“ Auch vierzig Jahre später könnte es das Trio des indisch-amerikanischen Pianisten Vijay Iyer für sich in Anspruch nehmen. Nur wie sehr hat es sich in dieser Zeit verändert. Es ist hindurchgegangen durch die Beschleunigungslust der Fusion-Ära, das Maschinenblut des Techno und die Komplexitätsgewitter von Drum’n’Bass, um am anderen Ende als rein akustische Musik aufzuerstehen. In ihrem Inneren wohnen die Schleppbeats des Hip-Hop neben den chromatischen Abenteuern von Thelonious Monk und zeitgenössischer Kunstmusik – alles eingeschmolzen in einem körperlichen Energiefluss, in dem die Gruppe immer mehr zählt als der Einzelne.

Unter dem blauen Sternenhimmel der Neuhardenberger Schinkelkirche war das Vijay Iyer Trio nun mit Kontrabassist Stephan Crump und Drummer Marcus Gilmore in einem umjubelten Konzert zu erleben. Wer sich noch einmal zu der Behauptung versteigen wollte, im Jazz sei seit den Tagen von Miles Davis ja nichts mehr passiert, hier hätte er sich bekehren lassen müssen.

Es mag angesichts der weltweiten Anerkennung, die der 41-jährige Vijay Iyer auch als Musik- und Improvisationstheoretiker genießt, müßig klingen, das noch einmal zu betonen. Der letztjährige Sieg in fünf Kategorien der „Downbeat“-Kritikerumfrage oder die Harvard-Professur, die er im kommenden Januar antritt, rütteln trotzdem nur bedingt am Beharrungsvermögen von Jazzklischees, an deren Abschaffung er und viele seiner Generationsgenossen so beharrlich arbeiten. In Neuhardenberg beginnt es mit „The Geese“, einer Komposition für das „Open City“- Projekt seines Schriftstellerfreundes Teju Cole, das Anfang Oktober mit einem 18-köpfigen Ensemble an der Montclair State University in New Jersey uraufgeführt wurde. Und nach einer Verneigung vor dem Flötisten Herbie Nichols („Wild Flower“) geht es weiter mit „Break Stuff“, einem Auftragswerk des MoMA zu Ehren des Hip-Hop-Chronisten Jeff Chang und später mit „Hood“, einer Hommage an Robert Hood, den Detroiter Begründer des Minimal Techno.

Aus kleinsten Motivzellen und Ostinati entwickelt das Trio polyrhythmische Verschiebungen, Überlagerungen und Reibungen, an denen sich auf ganz andere Weise György Ligeti – wiederum unter Rückgriff auf die Musik kongolesischer Pygmäen – versuchte. Vijay Iyer betreibt eine radikale Alternative zum Harmonien und Melodien ausdeutenden Klaviertrio auf den Spuren von Bill Evans. Das Improvisierte verlagert sich ganz ins Innere dieses Bandorganismus, zu einem jederzeit mitfühlbaren Puls, den Marcus Gilmore zugleich vorgibt und zerfasert. Wenn Vijay Iyer trotz eines radikaldemokratischen Programms der Kopf dieses Trios ist, dann ist der 27-jährige Enkel von Roy Haynes das Herz. Gilmore ist ein Meister subtiler Verzögerungen: Sprengmeister und Bewahrer sämtlicher Muster zwischen Vierviertelswing und Reggae, die zwischen den dreien herumgereicht werden. Und ein König der wirbelnden Gelassenheit, dem am Ende kein Tropfen Schweiß auf der Stirn zu stehen scheint.

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