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Feinschliff. Regisseur Alexander G. Schäfer (links) bei den Endproben. Valentino Karl studiert den Stadtplan.

© Thilo Rückeis

Berlin-Revue: Die Retro-Radler vom Tiergarten

Hauptstadt-Geschichtsstunde mit einem ahnungslosen Schwaben: Im Admiralspalast kommt die Revue „Beats of Berlin“ heraus. Für die Musik zeichnet der Zehlendorfer Komponist Klaus Wüsthoff verantwortlich.

Seine Herkunft hört man ihm nicht an. „Doch, doch“, versichert Valentino Karl, „ich kann meinen Heimatdialekt jederzeit anknipsen.“ Das war allerdings auch Voraussetzung für die Rolle, die der 26-Jährige jetzt im Admiralspalast spielt. In der Geschichtsrevue „Beats of Berlin“ ist er ein schwäbischer Erstsemester-Student, der zu Beginn desorientiert durch den Tiergarten irrt. Als er sich Hilfe suchend an eine joggende Mittfünfzigerin (Dagmar Biener) wendet, verweist die ihn mit hauptstädtischer Höflichkeit an einen Fahrradtaxifahrer. Mehmet bietet sofort geschäftstüchtig seine Dienste an: „Two for ten“, eine Partnerfahrt für zehn Euro! Sparsam, wie Valentino Karl alias Tobias Batzle veranlagt ist, überredet er die Einheimische, mit einzusteigen – und schon finden sich der türkische Cicerone und seine beiden Kunden anno domini 1636 wieder, mitten im Dreißigjährigen Krieg. Von hier aus geht’s dann wieder geschichtlich voran, über die 1848er Revolution, das Kaiserreich und die Nazizeit mit viel Gesang in 100 Minuten bis zur Maueröffnung 1989: klingendes Infotainment in der Pedalrikscha.

Als Valentino Karl auf einer Internetplattform für freiberufliche Bühnenkünstler das Inserat „Schwäbischer Student gesucht“ las, fühlte er sich sofort angesprochen. Seine Jugend hat er in Süddeutschland verbracht, an der Hamburg School of Entertainment absolvierte er bis 2011 eine Ausbildung zum Musicaldarsteller. Beim Casting konnte er mit Tanz-, Gesangs- und Schauspielqualifikationen überzeugen, Regisseur Alexander G. Schäfer engagierte ihn für „Beats of Berlin“.

Als langjähriges Mitglied des Stachelschweine-Kabaretts kennt der sich mit szenischer Improvisation auf kleinen Bühnen aus, als Sohn des legendären DDR- Volksschauspielers Gerd „Maxe Baumann“ Schäfer weiß er, wie man das Publikum bei der Stange hält. Zwei Fähigkeiten, die im frei finanzierten Privattheater überlebenswichtig sind. Also griff er beherzt in die Vorlage ein, die ihm der 91-jährige Komponist Klaus Wüsthoff und seine Librettistin Eva-Maria Kabisch geliefert hatten. Da galt es, den geschichtssatten Plot sprachlich aufzulockern, die vielen düsteren Seiten der Stadthistorie durch heitere Passagen zu kontrapunktieren.

1987, in dem Jahr als Berlin sein 750. Gründungsjubiläum feierte und Valentino Karl in Baden-Württemberg das Licht der Welt erblickte, hatte Klaus Wüsthoff schon einmal die wechselvolle Geschichte des Staates Preußen zum klingenden Bilderbogen gemacht. Damals hieß das Stück „Himmel und Hölle“, in der Philharmonie standen ihm Horst Jankowskis Rias-Tanzorchester sowie ein großer Chor zur Verfügung.

Sinfonische Unterhaltungsmusik war stets die Spezialität des Zehlendorfer Komponisten, der mit dem Erkennungsmotiv der „heute“-Nachrichten seit 1963 in aller Ohren ist. In der neuen Show muss sich der unermüdliche Tonsetzer nun mit einer Vier-Mann-Band begnügen – doch so manchem der jazzig angehauchten Stücke hört man an, dass es eigentlich eine Nummer größer gedacht ist.

Mal eben 375 Jahre Stadtgeschichte Revue passieren lassen, das ist allerdings auch ein Anspruch, der weit hinausgeht über die bekannten Berlin-Musicals. „Cabaret“ zeigt die Stadt, kurz bevor sie sich dem populistischen Locken der Nationalsozialisten hingibt, „Linie 1“ erzählt vom Leben in der Mauerstadt, in „Hinterm Horizont“ bilden Udo-Lindenberg-Hits den Soundtrack einer Ost-West-Lovestory. So richtig in die Vollen geht nur Paul Linckes „Frau Luna“: einmal Rückfahrkarte Berlin–Weltall bitte, rauf zu den „Schlössern, die im Monde liegen“, und dann retour zur Berliner Luft, Luft, Luft. Die Uraufführung fand 1899 in der Friedrichstraße statt, im prachtvollen Apollo-Theater. An der traditionsreichen Vergnügungsmeile geht heute auch die Premiere von „Beats of Berlin“ über die Bühne – nur dass sich Klaus Wüsthoff mit einem etwas bescheideneren architektonischen Rahmen begnügen muss.

Weil keine staatlich unterstützte Institution die Produktion stemmt, sondern der Impresario Roland Schaller, ist finanziell alles auf Kante genäht. Schaller trägt nicht nur das Risiko, von ihm stammen auch die Deko-Elemente – Berliner Wahrzeichen, elegant mit weißer Farbe auf schwarzen Stoff skizziert. Zudem steht der gelernte Kabarettist selber mit auf der Bühne, als Verstärkung des sechsköpfigen Ensembles.

Hoch oben im Admiralspalast wird gespielt, über dem Hauptsaal, wo man aus den achteckigen Foyer-Fenstern auf den Innenhof hinabschaut. Beim Seiteneingang, wo fischige Fabelwesen auf einem antikisierenden Fries ins Muschelhorn blasen, geht’s rein, durchs Treppenhaus mit den gelb-lila Buntglasfenstern bis in die vierte Etage. Gekachelte Säulen mit Kapitellen, auf denen stolze Legionäre Pferde bändigen, zeugen davon, dass sich hier einst die legendären römischen Bäder des 1910 erbauten Vergnügungstempels befanden. Jetzt ragen die Reihen des Studios mit den 430 Sitzplätzen steil in den Dachstuhl hinein.

Unten auf der Spielfläche wird sich Valentino Karl heute bei der Uraufführung von „Beats of Berlin“ erstmals im Großstadtdickicht verirren. Und dann immer wieder – solange wie genug Berliner und Zugereiste neugierig auf den musikalischen Geschichtsausflug sind. An das Gefühl zwischen Orientierungslosigkeit und Metropolen-Faszination kann sich auch der junge Schauspieler noch lebhaft erinnern: Das war bei seinem ersten Hauptstadtbesuch im Jahr 2007, gleich nach dem Abi. Das Bedürfnis, der Karawane der Kreativen zu folgen und hierherzuziehen, aber hat er nie verspürt. Er wohnt weiterhin in Hamburg. Und zwar sehr gerne.

Admiralspalast, Studio, Fr 21.2., 20 Uhr. Weitere Aufführungen: 22. und 23. Februar, 28. bis 30. März sowie 18. bis 20. April.

Infos: www.schaller-entertainment.com

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