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Kultur: Berlin wird immer mehr Berlin

Besser denn je: Das 9. Art Forum hält mit seinem Querschnitt aktueller Kunst, was es verspricht

Wie sehr der junge Kunstmarkt boomt, bekam Galerist Michael Neff aus Frankfurt bereits vor der Berliner Messe zu spüren. Allein die Ankündigung, die mehr als vier Meter großen und 30000 Euro teuren Fotoarbeiten der 1971 geborenen Italienerin Paola Pivi zu zeigen, schürte Begehrlichkeiten. Sein geplanter Stand war bereits vor der Messe ausverkauft. Aber ein Galerist von Welt ist flexibel. Neff entschied sich kurzerhand, stattdessen eine Installation mit scheinbar wandernden Jeanshosen (2500 bis 18000 Dollar) von dem amerikanischen Performance und Installationskünstler Mike Bouchet mit nach Berlin zu bringen. Das Motto lautet: Carpe Denim.

Es blieb nicht das einzige Werk, das bereits vor der Eröffnung der Messe verkauft war. Auch bei der Galerie Schuster & Scheuermann fanden sich für Gemälde von Sabine Dehnel und Fides Becker schon beim Standaufbau Interessenten (4500 und 4800 Euro). Und die amerikanischen Großsammler Mera und Don Rubell kauften ebenfalls bereits am Donnerstag unter anderem bei Carlier Gebauer drei Gemälde von Erik Schmidt (Preise zwischen 5000 und10000 Euro)

Doch die Verkäufe sind nicht der einzige Grund für die geradezu euphorische Stimmung bei den 119 Galeristen aus zwanzig Ländern. Die Reduktion der Teilnehmer und der Umzug in die historischen Ermisch-Hallen im letzten Jahr sorgten für Tageslicht, Frische und Übersichtlichkeit. Und nachdem zuletzt viele der führenden Berliner Galerien nicht mehr an der Messe beteiligt waren, machen sie in diesem Jahr wieder fast ein Drittel aus. Ein Gewinn ist außerdem die erstmals stattfindende Begleitausstellung „Made in Berlin“, die Werke von 42 Künstlern versammelt und einen hervorragenden Überblick über die aktuelle Kunstproduktion in der Hauptstadt bietet: Mehr als 90 Prozent der Arbeiten sind neu. Das alles hat dazu beigetragen, das Niveau der Messe noch einmal deutlich zu heben. Aber letztlich hängt alles an den Ausstellern und ihrem Gepäck. Und das birgt in diesem Jahr erstaunlich viele Überraschungen.

Dem aktuellen Trend folgend, zeigen viele Malerei: Neben Gemälden von so bekannten Größen wie Neo Rauch bei Eigen + Art oder Jörg Immendorff bei Contemporary Fine Arts, deren Preise im sechsstelligen Bereich liegen, gibt es gerade hier Entdeckungen zu machen. Speziell für das Art Forum zeichnete Morten Schelde eine leuchtend rote Bildergeschichte (Galerie Gimm Eis). Und die Galerie Ibid, die Ausstellungsräume in London und Vilnius betreibt, zeigt kleinformatige Bilder von dem 23-jährigen Janis Avotins aus Riga, die in ihren diffusen Farben fast traumartig erscheinen (3000 Euro). Überhaupt wird viel geträumt: Bei Ropac etwa, wo Bernhard Martins Gemälde überzeugen, oder in der Galerie Schulte, wo bühnengleiche Fantasiemodelle von Stephanie Snider zu sehen sind (10000–12000 Euro). Auch die jungen Marktraketen aus Polen sind vertreten: Die Galerie Zderzak hat Arbeiten von Rafal Bujnowski (6800 Euro) und Marcin Maciejowski dabei, die bereits 18500 Euro kosten. Die Galerie Johnen & Schöttle hat sich von Slowomir Elsner gleich den ganzen Stand einrichten lassen. Mit braun meliertem Teppich und Spitzendeckchen inszeniert dieser augenzwinkernd ein polnisches Wohnzimmer, stellt neben seine Arbeiten (2200–3600 Euro) selbstbewusst einen Leuchtkasten von Jeff Wall (75000 Euro) und lässt eine Holzskulptur von Christian Boltanski daraufblicken.

Nicht nur die „Zeit“ ruft diese Woche den Abschied vom Jugendwahn aus, auch viele der Galeristen blicken zurück und kombinieren an den Ständen Werke der Achtzigerjahre mit dem Allerneuesten, als wollten sie überprüfen, ob die junge Kunst der Herausforderung standhält. Und sie hält sich wacker. Bei Guido W. Baudach etwa, der sich den Stand mit Patrick Painter teilt, hängen neben den Malereiausbrüchen von André Butzer (14000 Euro) Werke von Mike Kelley, Valie Export oder Bernard Frieze. Gleich ganz im Geist der Achtzigerjahre haben die Galerien Nagel und Bleich-Rossi ihren Gemeinschaftsstand mit Werken von Martin Kippenberger, Clegg & Guttmann und Albert Oehlen aus der Zeit gestaltet. Nur an der Außenwand finden sich Arbeiten der Newcomer Stefan Müller und Markus Selg (4500 bis 7000 Euro). Und auch Martin Klosterfelde kombiniert eine konzeptuelle Papierarbeit von Hanne Darboven mit zwölf Siebdrucken der 1972 geborenen Ulrike Kuschel (3500 Euro, Auflage 10).

Viele der auswärtigen Händler bringen wichtige Impulse: David Pestorius präsentiert ein herausragendes Filmprojekt, und die Fotogalerie Thomas Zander aus Köln zeigt großartige Fotografien von Larry Sultan, die an Pornosets entstanden sind. Doch der feste Kern der Messe sind endlich die Berliner Galerien. Arndt & Partner etwa trumpft zum zehnjährigen Galeriejubiläum mit einem mehr als zehn Meter langen Bild von Anton Henning und einer neuen Skulptur von Thomas Hischhorn auf. „Berlin wird immer mehr Berlin“, zitiert der Künstler Stefan Saffer bei Müllderdechiara mit einer Wandarbeit Rilke. Das 9. Art Forum hält, was die Stadt verspricht.

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