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Kultur: Berlinale: Gebt uns Bilder

Schon gut: Morgens um 11 Uhr soll das Delphi manchmal nicht voll sein. Aber das ist eine Ausnahme.

Schon gut: Morgens um 11 Uhr soll das Delphi manchmal nicht voll sein. Aber das ist eine Ausnahme. Warteschlangen vor den Ticketschaltern, Gedrängel in den Foyers, rappelvolle Berlinale-Kinos: Das Festival brummt - jedes Jahr mehr. Dabei verlangt der Hunger nach Bildern nach vielerlei Nahrung. Ob Mainstream-Konfekt à la "Chocolat", chinesische Roadmovies oder Dokumentarisches aus entlegenen Welten - der Festivalgast ist unersättlich.

Der scheidende Chef Moritz de Hadeln hat dieser Tage wiederholt erklärt, die Berlinale habe, seit sie kein Ost-West-Brückenkopf mehr sei, keine rechte Aufgabe mehr. Das mag dem Blick zurück in Wehmut geschuldet sein - der Blick auf die Zuschauermengen lässt da keinerlei Sorge aufkommen. Filmfestivals boomen ganz von selbst; nicht nur in Berlin, auch anderswo steigen die Besucherzahlen. Dabei bleibt die Fachwelt immer weniger unter sich; vor allem das normale, zahlende Publikum füllt die Säle.

Was bieten Festivals - abgesehen von der schieren Häufung von Filmen -, was das Kino übers Jahr nicht zu leisten vermag? Was macht die großen Schauen von Cannes, Berlin und Venedig so attraktiv und ebenso die kleineren Spezialfestivals für Kurzfilme (Oberhausen), Dokfilme (Duisburg), deutsche Filme (Hof), Nachwuchsfilme (Saarbrücken) oder auch die internationalen Wettbewerbe für das junge, unabhängige Kino in Rotterdam und anderswo?

Festivals sind Ereignisse. Hier gibt es - neben den Filmen - die Enge in der Menge, das Dabeisein, die Diskussion. Der Zuschauer wird zum Mitspieler: "Big Brother" für alle. Und er sucht - bei fortgeschrittener Festivalitis - vor allem den Ausnahmezustand, den Rausch, das Eintauchen in eine Parallelwelt. Auf der Berlinale ist ein Film nicht nur ein Film, nach dem man in die Kneipe geht, sondern Elementarteilchen eines zwölftägigen (und -nächtlichen) Fests.

Solches geradezu suchtartige Interesse nützt allen Filmen. Die Blockbuster bekommen ihre Previews zur Frühjahrssaison, und der Glamour der Berlinale-Renner strahlt - bei 3000 Filmjournalisten aus der ganzen Welt - segensreich auf die kleineren Filme ab. Motto: Kate Winslet promotet Angela Schanelec. Bei dem übervollen Berlinale-Programm mag mancher Film manchem anderen die Schau stehlen - der beste Festivalfilm ist nicht selten der, denn man leider verpasst hat. Eine gigantische Werbeveranstaltung für alle ist das Festival doch. Dieses Jahr reißen sich die internationalen Verleiher um das neueste Dogma-Produkt "Italienisch für Anfänger" - gedreht von Lone Scherfig, die vorher kaum jemand kannte. Solche Werke mögen - wie auch Lars von Triers "Dancer in the Dark" - keine Hollywood-Kassenzahlen bringen, aber sie verändern unsere Bilderwelt. Und die Filmlandschaft. Ohne den Publizitätsschub von Festivals hätten sie auf dem eisern verteilten internationalen Markt kaum eine Chance.

Wie kann die Berlinale solche Effekte weiter verstärken? Sie muss den Wettbewerb noch exklusiver machen: Hier zählt Klasse statt Masse. In den Nebenreihen mag dafür der Anspruch, ein Film möge bloß nicht anderswo schon gezeigt worden sein, künftig ein wenig laxer gehandhabt werden. Nur so werden auch kleine, gute Filme eines Tages am Markt überlebensfähig.

Die Berlinale zeigt da - vor allem im Forum - schon Offenheit: "Platform" lief in Venedig, Bela Tarrs neuer Film in Cannes, "Der Geruch des Kampfers" in Locarno. Gut auch für die zumindest lokale Langzeit- und Breitenwirkung ist eine Idee, die dem künftigen Berlinale-Chef Dieter Kosslick zugeschrieben wird: ein Festival-Nachschlag im Sommer mit den besten Filmen - warum nicht in der Waldbühne? Denn beileibe nicht alles wird bis dahin im Kino sein.

Schließlich: Warum nicht nach dem Vorbild des Forums, das in eigenem Verleih die wichtigsten Festival-Filme übers Jahr weltweit vertreibt, einen Verleih verschiedener Festivals gründen? Ein gemeinsames Dach könnte, über die Entdeckungsfreude hinaus, auch kommerziell durchaus seine Tiefenwirkung zeigen.

Das mag Zukunftsmusik sein. Erst einmal wird, was zu hoffen ist, die Berlinale sich intern stärker vernetzen. Die gewachsene, argwöhnische Konkurrenz der Sektionen, die Idee von Parallelfestivals unter einem gemeinsamen Label ist überholt. Man kann scharfe Profile auch bewahren und der Berlinale insgesamt ein noch schärferes Profil geben, wenn man mehr als bisher miteinander spricht.

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