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Kultur: Berliner Vaganten Bühne: Und die Schwester bleckt die Zähne

Grausamkeit: in jeder Geste, jedem Wort. Dabei sind die fünf Erwachsenen, die sich da im gediegen möblierten Wohnzimmer "an einem frühen Samstagabend im Frühling" treffen, nette Leute.

Grausamkeit: in jeder Geste, jedem Wort. Dabei sind die fünf Erwachsenen, die sich da im gediegen möblierten Wohnzimmer "an einem frühen Samstagabend im Frühling" treffen, nette Leute. Doch das Alltägliche entgleitet ihnen. Die wohlstudierte bürgerliche Domestizierung wird fadenscheinig. Der Seelen-Dreck kommt hervor, das gnadenlose Spiel gegenseitiger Verletzungen nimmt seinen Lauf. Bis der Hausherr mit einem Herzanfall das Geschehen zum furiosen Ende bringt. Die Party der Halbwüchsigen gegenüber, "Abigails Party", stört das nicht. Auf dem Fußboden liegt ein Toter, die Popmusik dringt noch lauter herüber ...

Wohnzimmergeschichten bieten Futter für Schauspieler, sie spiegeln Realität mit einer gesunden Portion "Übertreibungsfanatismus" (Thomas Bernhard), sind gerade dadurch für den Zuschauer eher vergnüglich als erschreckend. Auf den Zweiakter "Abigails Party" des 1943 in Salford/Manchester geborenen Mike Leigh trifft das in besonderer Weise zu. Bei ihm mildert sich die Bosheit durch Spott, er sieht genau hin auf seine Männer und Frauen aus der Mittelschicht. Aber die Hölle, durch die er sie schickt, entbehrt der verzehrenden Hitze durchaus. Nein, die Fünf zum Trinken und Plaudern Versammelten sind eher putzig, ein bisschen verschroben, unfähig zu ausgesuchter, bewusster Rücksichtslosigkeit. Es unterläuft ihnen halt, dass sie den Ehepartner, den Gast erst anspielungsreich, dann offen mit Genuss fertig machen.

Die fast freundliche Munterkeit, mit der die Erwachsenen-Party lange Zeit abläuft, hat Regisseur und Übersetzer Folke Braband bei der deutschen Erstaufführung des Stücks in der Vaganten Bühne vorsichtig gebremst. Er gibt seinen Schauspielern Zeit, die Figuren aufblühen zu lassen. Vom ersten Moment an stimmt alles im großzügig mit der wuchtigen Ledergarnitur bestückten Wohnzimmer von Beverly und Laurence (Bühne Tom Prestring). Schon die Kostüme (Olga Lunow) geben wie ein Steckbrief preis, was von den Versammelten zu halten ist. Nichts wird mit geheimnisvoller Bedeutung beladen - es herrscht Party-Getriebe, unverfälscht. Diese altmodische "Echtheit" macht großen Spaß. Brabands Schauspieler verschmelzen hingebungsvoll mit den Figuren und behalten doch einen Hauch Überlegenheit. Eva Mannschott (Beverly) ist die Gastgeberin, eine Dompteuse mit bezwingendem, hinterhältig diktatorischem Charme. Guido Hammesfahr spielt den Ehemann Laurence ganz zurückhaltend und doch spitz. Den Vogel schießt Konstanze Proebster als Krankenschwester Angela ab, eine zierliche, von fiebriger Neugier getriebene Person, kichernd mit gebleckten Zähnen, naiv und doch als einzige den Katastrophen des Abends gewachsen.

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