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Belgierin Els Vandeweyer

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Vibrafonistin Els Vandeweyer: In der Klangkiste wühlen

Metall trifft Emotion: Die Vibrafonistin Els Vandeweyer liebt die Improvisation und das Spiel im Kollektiv. Auch bei den diesjährigen Kosmostagen ist sie dabei. Ein Besuch im Probenraum.

Entrückt schaut sie drein, wenn ihre Hände mit den Schlägeln in einer flirrenden Geschwindigkeit über die Metallplatten fliegen. Gelegentlich wirft sie ein paar Utensilien auf das Instrument, lange Perlenketten oder eine zusammengedrückte Getränkedose, mit denen sie den Klang verzerrt. Els Vandeweyers Blick beim Vibraphon-Spielen schweift ins Nichts. Zum Ende grinst sie breit. „Das hab ich jetzt so improvisiert, das hat keinen Namen“, sagt die Belgierin.

Am heutigen Freitag tritt sie bei den Kosmostagen im Radialsystem auf, die zum zweiten Mal vom Andromeda Mega Express Orchestra organisiert werden. Die Formation um den Klarinettisten und Saxofonisten Daniel Glatzel hat wieder ein ungewöhnliches Programm zwischen Jazz, Rock und Klassik zusammengestellt. Neben der brasilianischen Jazz-Legende Hermeto Pascoal und den Gastgebern selbst ist auch Vibrafonistin Els Vandeweyer zu hören, die oft mit dem Orchester zusammengearbeitet hat.

Eine "neue musikalische Sprache"

Der jazzige Sound des Andromeda Mega Express Orchestra ist aber nicht ihr gewohnter Stil: Richtig zu Hause ist Els Vandeweyer in der freien Improvisationsszene. Die Musikerin ist viel beschäftigt, ihr Konzertplan ist voll. Beim Gespräch in ihrem Probenraum in Kreuzberg wirkt die 33-Jährige dennoch gelassen. „Meine Musik ist wie ein Handwerk. Ich will jeden Tag mit ihr beschäftigt sein, sonst fühl ich mich nicht wohl.“ Sie ist fast täglich hier und arbeitet an neuen Ideen: an Variationen und Stücken, aber auch an etwas, das sie selber als „neue musikalische Sprache“ bezeichnet. Denn nur durch Übung könne sie sich weiterentwickeln – und ihre Musik zu etwas Besonderem machten. „Wenn ich dann da stehe und spiele, ist es wie eine Kiste, in die man reingreifen kann.“

Das Vibrafon ist ein metallenes Schlagwerk mit elektrischen Modulationsplatten, entwickelt aus der hölzernen Marimba. Der Klang ist eher hart, doch nicht so dumpf wie sein hölzernes Pendant. Manchmal zu unvariiert, findet Vandeweyer – weshalb es diese Kiste, von der sie spricht, auch tatsächlich gibt. Es ist allerdings mehr ein Tisch, der neben ihrem Vibrafon steht. Perlenketten, Getränkedosen oder Handschuhe mit Metallspitzen liegen darauf. Sie greift beherzt danach, schmeißt die Utensilien schwungvoll auf das Vibrafon. Die Klänge bleiben trotzdem wohlbalanciert, ihr Spiel ist genau abgestimmt auf die Veränderung. Obwohl sie manchmal distanziert und technisch darüber redet, ist ihre Musik doch das Gegenteil: Els Vandeweyer schafft es, den Klängen des Vibrafons eine unvergleichbare Wärme und Emotionalität zu schenken.

Von Marschmelodien zu improvisierten Klängen

Als Sechsjährige spielte sie schon Trommel zu klassischen Marschmelodien im dörflichen Blasorchester in Flamen. Als sie an der Musikschule anfangen sollte, war die Instrumentenfrage noch unklar – aber es musste etwas Ungewöhnliches sein. Als sie in einem Konzert eine Marimba sah, war sie sofort begeistert. „Mein Bruder sagte dann, dass das Vibrafon das schönste Instrument der Welt sei.“ Sie glaubte ihm und wünschte sich eins vom Nikolaus. Die ganze Familie ist musikalisch, an Weihnachten seien es meist 30-40 Leute aus drei Generationen, die gemeinsam Musik machten. Der Nikolaus-Wunsch wurde erfüllt, doch erstmal war sie enttäuscht: Alles zu simpel-metallisch, fand sie. Dabei geblieben ist sie trotzdem, hat mit dem Klang gearbeitet, sich ihn zu Eigen gemacht. Zunächst ging sie für ein Studium des klassischen Schlagwerks ans Königliche Konservatorium in Antwerpen. Während der Studienzeit begeisterte sie sich für die Improvisation, denn selbst in klassischen Stücken sei eine versuchte Simulation improvisierter Musik zu spüren. Deshalb nahm sie ein Studium der Jazz- und Improvisationsmusik in Brüssel auf.

Die Musik zog sie vor sechs Jahren nach Berlin, zu schwierig war die Lage für freie Improvisationen in Belgien. „Ich hatte das Gefühl, mich dort nicht weiterzuentwickeln.“ In Berlin ist das anders, hier gibt es eine große Szene. Sie zeichne sich durch ihre Wertschätzung der Klangfarben aus, da stehe nicht nur die pure Sprache der Melodien im Vordergrund. Hier funktioniere alles wie ein Labyrinth: Menschen kennenlernen, mit ihnen spielen und neue Erfahrungen sammeln. „Das ist meine Inspiration.“ Seit eineinhalb Jahren wohnt sie in Neukölln. Das Publikum und die Musikszene in Berlin seien etwas ganz Besonderes, hier könne sie ihre eigene Stimme weiterentwickeln.

Nicht nur ein Zug, an dessen Fenster die Kulisse vorbei rauscht

Els Vandeweyer ist nicht nur solo unterwegs, sondern spielt auch in vielen Musikerkollektiven: Ein Quartett mit Fred van Hove, Paul Lovens und Martin Blume, ein Quartett mit Ute Wassermann und Aleks Kolkowski, mit Olaf Rupp und DJ Illvibe in der Formation Spin Track und im Duo mit van Hove. Besonders diese Zusammenarbeit mit dem belgischen Pianisten Fred van Hove, einem Star seiner Generation, sei eine große Ehre, in den Fluss seiner Musik einzusteigen, seine „Vibrations“ aufzunehmen. Die Dynamik des Spielens im Kollektiv ist für sie immer wieder eine Herausforderung, die Suche nach dem richtigen Platz in der Improvisation, die Entscheidung hervorzutreten oder im Hintergrund zu bleiben. Es sei eben nicht nur ein Zug, an dessen Fenster die Kulisse einfach vorbeirauscht, ein Kollektiv biete musikalische Möglichkeiten im Zusammenspiel an, die sie nutzen möchte. Was ihr dabei durch den Kopf geht? „So wenig wie möglich“, sagt sie lachend. Das wird sie auch bei den Kosmostagen wieder unter Beweis stellen: Gleich am ersten Tag des Festivals ist sie zweimal beteiligt.

Vorerst will die Mutter einer kleinen Tochter in Berlin bleiben, doch es zieht sie auch wieder zurück nach Belgien. Gern würde sie den musikalischen Schritt zurück in die Heimat wagen. Dass sie außerdem noch in der musikalischen Früherziehung tätig ist, erwähnt sie ganz beiläufig – „um das Feuer weiterzugeben“. Eine erfrischend unkomplizierte Musikerin mit Herz und Seele. Was sie mit den Kindern macht? „Alles zum Klopfen“. Was sonst.

Radialsystem , Fr/Sa 17./18.7., 19 Uhr

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