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Kultur: Berlins spirituellster Friseur Jonny Pazzo lädt zur Benefiz-Party für aidskranke Kinder ins WMF

"Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist ein kleiner Buddha. Die werden alle erst vom System versaut.

"Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist ein kleiner Buddha. Die werden alle erst vom System versaut." Sagt Jonny Pazzo. Und wenn er etwas sagt, dann tut er es zügig und bestimmt. Nussbraune Augen unter dem schwarzen Kurzhaarschnitt fixieren sein Gegenüber, schlanke Hände schnellen durch die Luft, die Anhänger seiner Halsketten klacken leise gegeneinander. Jonny Pazzo ist 42 Jahre alt und Besitzer des "Jonnycut". Zu den Kunden dieses angesagtesten Friseurgeschäfts der Stadt zählen die Geschwister Pfister, Ulla Meinecke, etliche Jungschauspieler und so ziemlich jede Szenegröße Berlins.

Um sich zu überzeugen, dass der Laden in der Yorckstraße nichts mit üblichen Damen / Herren-Salons gemein hat, genügt schon ein einziger Blick. Die Wände über den Friseurstühlen sind übersät mit Bildern von Engeln und Buddhas, Reggaemusikern und Kindern. In kleinen Nischen glühen Räucherstäbchen neben Götterfiguren mit Elefantenrüsseln, aus dem CD-Player wabert spirituelle Musik. Larry aus Tobago, einer der Mitarbeiter, hat gerade seiner Kundin ein kompliziertes Muster auf den Hinterkopf rasiert. Ein Blick in den Spiegel lässt sie vor Freude aufjauchzen. Vielleicht wird ihr Hinterkopf nachher noch von Kollegin Maja abgelichtet, die die gelungensten Schnitte für die Hall of Fame an der Wand des Jonnycut ablichtet.

Wenn der Hausherr nicht gerade in seinem Laden an der Schere steht, reist er als Experte für Schönheit um die ganze Welt. Letztes Jahr war er bei dem Pop-Reggae-Produzenten Eddy Grant auf Barbados, um ein Video zu drehen. Neulich sorgte er bei einem Foto-Shooting in Los Angeles dafür, dass auch Carol Campells Frisur bei der "Playboy"-Bildstrecke richtig lag. Und gerade pendelt er zwischen Berlin und Lissabon, wo er mit der portugiesischen Künstlerin Manuela Xavier eine Ausstellung zum Thema "Buddhas und Engel" vorbereitet. Dafür fotografiert er selbst, und auch die Hintergrundmusik wird er komponieren.

Angesichts seines Kundenstamms könnte Jonny Pazzo die Feierabende mit Geldzählen verbringen. Doch das interessiert ihn nicht sonderlich. Statt dessen bereitet er seine jährliche Benefiz-Party vor, die allmählich zur Tradition wird. Am morgigen Dienstag im WMF steigt sie bereits zum dritten Mal. "1997 wollten wir eigentlich den zweiten Geburtstag unseres Ladens feiern", erzählt Pazzo. "Aber dann habe ich im Fernsehen diesen Bericht über HIV-infizierte Kinder gesehen und dachte: Nur eine Party zu machen, ist mir zu doof."

Auf sanftes Drängen ihres Friseurs erklärten sich etliche Szene-DJs bereit, für den guten Zweck ohne Gage aufzulegen, und auch den Abend im Club gab es mietfrei. Der Reinerlös der Party ging damals wie heute an den Berliner "Förderverein Kinder und Aids"; im vergangenen Jahr waren das 10 000 DM. "Das ist nicht viel, und man kann leider nicht jedem helfen." Pazzos Hände schlenkern etwas ratlos herum. "Neulich habe ich mal einen Bericht über Kinder im Sudan gesehen. All die aufgeblähten Bäuche, das hat mir weh getan. Und wir haben im Laden besprochen, ob wir das Geld nicht dorthin schicken. Aber dann haben wir uns gedacht: Der Förderverein verteilt das Geld an Berliner Familien, die durch zu kleine Sozialhilfen bettelarm sind. Da sehen wir, dass das Geld an der richtigen Stelle ankommt."

Um morgen wieder soviel Geld wie möglich einzunehmen - zehn Mark kostet der Eintritt -, hat Pazzo erneut eine Reihe bekannter Plattenaufleger verpflichten kÜnnen: DJ Disko, such a sound, Ludis sind nur einige von ihnen. Dazu gibt es eine Dia-Show und einige Überraschungsgäste. Wenn Jonny Pazzo nicht für seine Party wirbt, lässt er sich gern zu den Wurzeln seiner offensichtlichen Spiritualität befragen. Dann klackern seine Anhänger, und die Worte sprudeln, dass es dem Gesprächspartner ganz wirr im Kopf wird.

Als Provinzkind aus Venlo an der holländischen Grenze kam er vor zwei Jahrzehnten nach Berlin, um an der HdK Kostümbildnerei zu studieren. Bereits vorher hatte er eine Schneiderlehre absolviert und ließ sich in Berlin zum Friseur ausbilden, "weil ich immer Ärger mit den Visagisten hatte". Während des Studiums lernte er Nena kennen und begann, Bühnenkonzepte für sie zu entwickeln. Ende der Achtziger kehrten sie gemeinsam von Nenas ellenlanger "Bongogirl"-Tour zurück. Völlig erschöpft torkelten sie über einen Berliner Flohmarkt, als sie ein Buch entdeckten, das Pazzos Leben verändern sollte. "Es war ein Yogi-Buch von dem Lehrer Jesudian." Da der Friseur schon zuvor häufig auf Jamaica gewesen und von der dortigen, afrikanisch-indischen Kultur fasziniert war, zündeten die Gedanken des Meisters sofort. Gemeinsam mit der Sängerin zog er sich für mehrere Monate in Jesudians Ashram in der Schweiz zurück.

Bis zum heutigen Tag ist Jesudian sein geistiger Mentor geblieben. Seit er 1995 seinen Laden erÜffnet hat, ist er bemüht, Freunde und Kollegen wie in einer Dorfgemeinschaft mitten in der Stadt zusammenzuführen. Stylisten und Fotografen aus seinem Umfeld vermittelt er häufig an Magazine und Fernsehsender, mit denen er zusammengearbeitet hat. Ohne Provision dafür zu nehmen. "Wenn wir am Monatsanfang sehen, wie sich hier die Rechnungen stapeln, sagen wir uns manchmal: Ab sofort betreiben wir das professionell", sagt Fotografin Maja. "Aber eins ist klar: Sobald wir hier Designertassen reinstellen und zusätzliche Computer installieren, ist der Spirit aus dem Laden raus. Und das wollen wir nicht."

Denn längst ist Jonny Pazzo für seine Freunde selbst zu einer Art Meister geworden. Am Wochenende geht er gerne mit den Kindern seiner Kunden zu Yoga-Übungen auf den Teufelsberg. Und wenn sich jemand in einer Krise befindet, berät er, welcher Tee und welches Badesalz ihn wieder aufpäppeln könnte. Ob jemand Körperarbeit machen oder sich bestimmten Meditationstechniken zuwenden sollte. Aber das sieht Berlins spirituellster Coiffeur als Teil seines Jobs. Denn: "Seelen aufzufangen, ist die Arbeit vom Friseur.""Jonnycut": Yorckstraße 43. Mo-Fr 11-20 Uhr, Sa bis 17 Uhr. Benefizparty: Morgen, Dienstag, ab 21 Uhr im WMF, Johannisstraße 19, Mitte. Eintritt zehn Mark.

Knud Kohr

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