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Bernhard Martin in der Berlinischen Galerie: Der Strich muss sitzen

Furiose Bilderstürme: Die Berlinische Galerie feiert zu ihrer Wiedereröffnung den Maler Bernhard Martin – ein Atelierbesuch.

Zuwendungsempfängerin, Krachgarten, Innenleben neu möblieren, Hunger nach mehr, Abströmen, Citronenfalterquintett, Champagner ist nicht für jeden gut – so lauten die Werktitel des Malers Bernhard Martin. Seine Bilder erzählen mit Wucht und Leidenschaft: „Schon als kleiner Junge plagte ich meine Eltern mit meinem Voyeurismus. Meiner Neugier. Meiner Lust der ganzen Welt gegenüber. Und dann nahmen sie mir den Malkasten weg. Das Fernsehverbot strafte mich nicht annähernd so hart wie das Malkastenverbot“, sagt er in seinem Atelier am Hauptbahnhof. Kühl und still ist es hier, der Geruch von Farbdosen hängt in der Luft. Martin sprayt, derzeit arbeitet er an einem Zyklus zum Thema Hotel. Er hat große Formate gewählt – und klettert in Clogs für die letzten Schliffe auf die Leiter.

Mit sieben, acht Jahren entdeckte Bernhard Martin in der Gemäldegalerie von Schloss Wilhelmshöhe in Kassel seine Vorliebe für die Alten Meister, mit elf Jahren erlebte er seine erste Documenta als Initiation, mit 16 Jahren begann er Kunst zu studieren, um mit 17, gelangweilt vom verschulten Studium, zusammen mit den Irren und Schrillen in den nächtlichen Ramblas von Barcelona zu versinken.

Berlinische Galerie eröffnet frisch saniert

„Temporäre Unregelmäßigkeiten im Geschmacksverein“ hängen nun mit 2,35 Meter Höhe in der frisch sanierten Berlinischen Galerie, die am Donnerstagabend wiedereröffnet wird – mit der Neupräsentation ihrer Sammlung und vier Sonderausstellungen, darunter der Hommage an Bernhard Martin. Der 1966 in Hannover geborene Maler und Bildhauer wird zudem mit dem Fred-Thieler-Preis für Malerei ausgezeichnet – der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert. Auf dem dem Bild zu sehen: Sex, Porno, ein drogengesteuerter Albtraum im Wechsel von Beigebraun zu Ultramarin, von Ultramarin zu Telemagenta, von Telemagenta zu Tarngrau, zu Chromoxidgrün. Die Farbpalette der „Temporären Unregelmäßigkeiten...“ entspricht den RAL-Nummern der Spritzpistolensprühflaschen von 8024 bis 6020.

Bernhard Martin erschafft infernalische, furiose Bilderwelten, die große Sogwirkung entfalten. Sein Thema seien „die menschlichen Verfehlungen, die erstickte Hoffnung, die Ernüchterung, das daraus folgende Aufbäumen, die Chance und der Neuanfang“. Werke wie Paralleluniversen, so unterschiedlich, so surreal, so voller Zitatenfreude in den Malstilen, dass Science-Fiction-Settings und Grimm’scher Märchenwaldspuk nebeneinander Platz finden, ohne in postmoderne Beliebigkeit zu entgleiten.

Bernhard Martin malt lieber Arschtritte als öde Popstars

So surft der Künstler auf den Oberflächen der Konsumwelten. Darunter liegen das Grauen, das Abseitige, die Sehnsucht. „Ob im Absurden nicht der letzte freie Gedanke steckt? Ich male lieber einen Arschtritt als irgendeinen öden Popstar.“ Martins Inspirationsquellen reichen von Otto Dix’ Triptychon „Großstadt“ bis zu den gnadenlosen Lynchszenarien aus Tarantino-Filmen. „Was ich abliefere, das bin ja Ich. Ich bin das Resultat verschiedenster Komponenten und Einflüsse. Mir geht es um einen geistigen, inhaltlichen und formalen Striptease, darum zu penetrieren und zu präzisieren.“

Bernhard Martin.
Radikaler Freigeist: Bernhard Martin erhält den Fred-Thieler-Preis für Malerei.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mit den schwarzen, ins Gesicht fallenden Haaren und dunkel blitzenden Augen wirkt Martin immer noch jugendlich, ein Charmeur, der Glanz, Glamour und gutes Essen liebt – und „in erster Linie mit der Malerei verheiratet“ ist, ein Leben lang, mit allen Höhen und Tiefen. Einer, der Abrisswohnungen mit gefrorenen Fensterscheiben als Atelier zu Genüge kennt: „Ich weiß, was es heißt, keine Farben, keine Leinwand kaufen zu können. Mit 16 Jahren bin ich weg von zu Hause, stand auf eigenen Beinen. Das ging gut, ging nicht gut, mit allen Formen der Naivität, der Selbstüberschätzung. Ich stellte fest, dass ich nicht kompromissbereit bin. Mit dem Beruf des Malers bin ich absolut. Konsequent und konzentriert.“ In der Grundschule verkaufte er seine Comiczeichnungen an die Mitschüler. Der Mann, der täuschend echt einen Kreditkartenschlitz malen kann, tingelte an Haustüren mit selbst gemalten Postkarten. Schon mit elf Jahren handelte er im Auftrag seiner Großmutter an der Börse, machte das erste große Geld: „Meine Oma war eine großzügige Frau, sie lebte lange in Berlin. Von ihr bekam ich jede Unterstützung.“

Der Kunstmarkt interessiert Martin nicht wirklich

Nachdem Martin noch in den neunziger Jahren mit seiner Virtuosität zu kämpfen hatte und lernen musste, die Vielfalt seiner Möglichkeiten zu kanalisieren, kam im folgenden Jahrzehnt der Erfolg. Zu seinen Kunden zählt Gloria von Thurn und Taxis, Museen, Banken, Sammler kauften seine Werke. Bernhard Martin gab sich als geniales Enfant terrible, trug Rolex und Goldzahn, jettete rund um den Globus, beeindruckte mit seinem Wortwitz und seiner überbordenden nervösen Energie.

Bernhard Martin ist in Sammlungen wie der des Museums für zeitgenössische Kunst in Genf, in der Rubell Collection, Florida, im Museum of Modern Art, New York, in der Sammlung Sander, Berlin, in der Sammlung der Deutschen Bank, Frankfurt, in der Wiener Thyssen-Bornemisza Art Contemporary oder im Museum der Moderne, Salzburg, vertreten. Ab 2005 folgten Einzelausstellungen in der Villa Arson in Nizza, im Arario Museum in Seoul und in der Städtischen Galerie Wolfsburg. Doch der Kunstmarkt als Wirtschaftsindikator, die Gallery Weekends, der ganze Zirkus interessiert Martin nur peripher. Ihm geht es um die Verteidigung der Freigeisterei, darum, die Libertinage mit seinen Bildern zu feiern: „Wie unser Miteinander ist, das bewegt mich, mit sich im Reinen sein, damit Körper, Geist und Seele übereinstimmen. Und das ist bei den wenigsten der Fall. Dann muss der Yogakurs her, das teure Auto hinzu, die ganze Laktosefreiheit.“

Kunst braucht Chuzpe

Für ihn kam es zum großen Bruch, als das Schloss im Schlaubetal abbrannte, in dem er gelebt hatte – mit eigener Stromversorgung und einer Gänsefamilie, die morgens schnatternd zur Begrüßung antrat. Plötzlich stand Bernhard Martin vor dem Nichts. Das finanzielle Desaster zog einen Überlebenskampf nach sich . Die Rolex hat er abgelegt, von seinen Geschäftspartnern trennte er sich, auch den Goldzahn hat er über. Fast vier Jahre lebte Bernhard Martin zurückgezogen in London, ging in Museen und Galerien, arbeitete in einem kalten Kämmerchen in Skiunterwäsche und Anorak und erlebt nun in der Berlinischen Galerie ein Comeback. Wie sagt er: „Der Strich muss nicht nur sitzen, er muss in seiner Form oder Radikalität auch zum Heulen schön sein, er sollte Chuzpe haben, Chuzpe, die nicht einfach sein wird, nachzuahmen.“

Berlinische Galerie, ab 29. Mai, Mi – Mo 10 – 18 Uhr

Silke Kettelhake

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