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Kultur: Besuch von den Aliens

Gespenstisch gut: Meg Stuarts Tanzstück „Visitors Only“ in der Berliner Volksbühne

Meg Stuarts neues Stück beginnt, wie ihr letztes aufgehört hat: Mit einem sehr langen wortlosen, kollektiven Zittern. Waren es am Ende von „Alibi“ lauter Verstörte, die, verloren auf der riesigen Bühne, in einem stummen Zittern verharrten, das Gesicht dem Publikum zugewendet und doch ganz offenbar ohne jedes Gegenüber, stehen die zuckenden Körper jetzt eng beieinander. Im ersten Bild von „Visitors Only“, einer Koproduktion der Berliner Volksbühne mit dem Schauspielhaus Zürich, tragen die zitternden, vibrierenden Tänzer Regencapes: Lauter Unbehauste, Ausgesetzte, eben „Visitors Only“, Besucher auf Zeit. Sie stehen im dunklen Zimmer eines Abbruchhauses, einer Art Asyl, in dem sie sich vor der Welt zu verstecken scheinen. Zu einer ohrenbetäubenden Industrial-Soundkulisse (Paul Lemp und Bo Wiget) haben sie dem Publikum ihre Rücken zugewendet, als wollten sie von Anfang an klar machen, dass das, was in den nächsten zwei Stunden auf der Bühne geschieht, sich gegen die Zuschauer abkapselt: Die hermetisch in sich verschlossene Alptraum-Installation sucht keine Kommunikation mit der Außenwelt, ihre Geheimnisse wird sie den Blicken der Betrachter im Parkett nicht preisgeben.

Die amerikanische Choreografin Meg Stuart und ihre Gruppe „Damaged Goods“ haben mit dieser Inszenierung eine Ordnung der Körper und Bewegungen konstruiert, die in einem rasenden Stillstand um sich selbst zu kreisen scheint und weder Ausweg noch Ziel kennt, weder Erinnerung noch Bewegungsabläufe, die sich in eine Erzählung, einen Sinn, einen lesbaren Code übersetzen ließen. Das kollektive Zittern zu Beginn der Aufführung, eine Bewegung ohne Richtung, eine Art stillgestelltes Toben auf kleinstem Raum, prägt den gesamten Abend: um sich selbst kreisender Terror. Später wird es in Filmprojektionen vibrierender Tassen und Stühle sein ironisches Echo finden. In einer strukturellen Analogie setzt es sich fort mit im Kreis rennenden Tänzern, mit Paaren, die sich endlos um die eigene Achse drehen und mit Körpern, die in winzigen Zimmern unaufhörlich an den Wänden entlang gehen. Das hat etwas grauenvoll autistisches und scheint die menschlichen Leiber gleichzeitig in eine Art Maschine wie in vibrierende Atome zu verwandeln.

Anna Viebrocks Bühne zitiert die „Cutted Buildings“, mit denen der amerikanische Avantgardekünstler Gordon Matta-Clark in den Siebziger Jahren leer stehende Gebäude in riesige Plastiken verwandelte: Matta-Clark brach Segmente aus mehrstöckigen Häusern, zerschnitt Wände, öffnete Fassaden, kurz: Er zerlegte die kompakte, beschützende, scheinbar sichere Einheit eines Gebäudes in irritierende Fragmente. Ähnlich funktioniert Viebrocks Bühnenkonstruktion: Vier Zimmer auf zwei Etagen, die sich durch herausgebrochene Öffnungen in den Wänden zu vier dahinter liegenden, nur partiell einsehbaren Räumen öffnen. Kein sicherer Ort, sondern eine sehr provisorische Umgebung, dysfunktional und unübersichtlich - ein baufälliges Haus mit zerbrochenen Fensterscheiben und Türen, die nur Schulterhöhe haben. Wie man durch die Wandöffnungen nur Ausschnitte dessen zu sehen bekommt, was in den hinteren Räumer geschieht, nur Beine und Unterkörper, Hände oder einmal eine waagrecht durch den Raum schwebende Tänzerin, so scheint auch die Identität der Figuren eine ziemlich brüchige, allenfalls fragmentarische Angelegenheit zu sein. Kurze Textpassagen, die eine unsichtbare Dia-Show begleiten („This is me as a child, this are my parents...“) wirken eher wie die Behauptung einer erfundenen Kindheit als wie der Beleg biografischer Sicherheit. Später wird das in zuckenden, schnell verschwimmenden Projektion von alten, schwarz-weißen Familienphotos variiert: Die Erinnerungen scheinen ins Taumeln zu geraten, die Beweisstücke wirken wenig vertrauenserweckend. Was eine Selbstvergewisserung sein könnte, löst sich auf in einem beängstigendem Delirium.

Wie ein ironisches Spiel mit Figurenidentitäten wirken die vielen Doppelgänger auf der Bühne. Sei es die nackte Frau mit den roten Haaren, sei es der Internatsschüler in Anzugjackett und Unterhosen oder die Frau in dem altmodischen bunten Kleid – alle haben sie ihre Doubles und Wiedergänger. Nicht nur das Gebäude, auch die Behauptung eines Selbst ist brüchig und bietet keinen wirklichen Halt. Der Satz, der in einer der ersten Szene wie eine Gebrauchsanweisung für den Abend fällt („to dream you are visited by aliens“ – stell dir vor, Aliens besuchen dich), bekommt so einen gespenstischen Doppelsinn: Vielleicht sind die Figuren auf der Bühne längst selbst zu Aliens geworden. Vielleicht aber haben wir es auch gar nicht mit Menschen, Figuren, Lebewesen zu tun, sondern blicken wie in den späten Stücken Becketts bei dem löchrigen Haus ins Innere eines Schädels – und seine Bewohner sind nicht als die Gespenster des Bewusstseins: „Die Schädeldecke hat das Monopol für solche Artikel“ (Beckett).

Wieder am 24. und 25. Mai, 12. bis 15. Juni

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